197, Identität und Liebe
Die Identität des Subjekts als ein Stillstand, Frieden mit dem Da-Sein der Anderen, den Umständen. Als Status quo der Eindrücke, Erfahrungen, Krankheiten und Heilungen, Ausströmungen (Blutverluste, Artefakte) und Einflüsse, als Einheit zwischen Wunde und Narbe, Abfluß und Einfluß, Verlieren und Wiederfinden, Inhalation und Exhibition. Identität als eine sich langsam erweiternde Befindlichkeit, die Kontinuität gegen wechselhafte Zustände bevorzugt, eher ein Bestätigungsfeld des Getanen, des Ereigneten, ein Resultat des sich permanent um Stabilität bemühenden porösen Menschenkindes. Eine Raumerweiterung -wie Forderung. Ein großes Gewicht in der Waagschale gegen Veränderung ist ihre Verklärung: als Sehnsucht. Sie markiert – Differenz gegen – den Anderen als eigenen Identitäts-Anspruch. Stalkerversum.
Aber das Lieben verlagert den Identitätsanspruch, weil die Liebe auf den Anderen gerichtet ist und der Liebende im Anderen arbeitet und ihn in Frage stellt. Hier erzeugt der Andere eine Liebes-Identität, die auf Differenz sich gründet wie zugleich zu überwinden trachtet. Denn der Andere ist die Instanz, die die eigene Identität bestätigen wie annehmen kann – und ermöglicht, erwartet zu werden als derjenige, der man sein will.1vgl. Niklas Luhmann, in: Liebe eine Übung, hrsg. von André Kieserling, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2008, Seite 21
Jemanden lieben, stellt das Eingeständnis eines (narzisstischen) Verlusts dar, sich nicht selbst zuführen zu können. Die „Instanz des Begehrens“ verhaftet das von Liebe getroffene Subjekt. Das Liebesverhältnis rekonstruiert diese liebende Verluststellung des liebenden Subjekts ständig neu, definiert, transformiert Identitätsbereiche um und treibt die Identitäts-Verluste, die gescheiterten Verschmelzungen weiter, solang sie mit Zuneigung aufgehoben werden können. Die Befreiung aus dem Sog-Verhältnis der Identitäts-Beziehung zu sich gewährt die über das Ich hinausweisende Liebe.