71, interesseloses Wohlgefahlen: Kunst Krankheit Kant

Das Interesse an der Beobachtung von Kunst soll ein willentlich interesseloser Akt oder willentlich, aber ohne Interesse sein: Interesseloses Wohlgefallen. Das aber scheidet nicht nur den Betrachter (den Rezipienten) vom Hersteller des Kunstwerkes – der ja auch Beobachter im Akt der Herstellung als auch post mortem Beobachter bleibt –, sondern unterstellt dem Beobachter (Rezipienten), dass er seine Betrachtung selber nicht im Betrachten mit reflektiert (, damit es Interessenlos bleibt) und sich somit von seinen individuellen Anschlüssen selber ausschließen müsste. Das interessenlose Wohlgefallen würde gerade den motivierten Moment, vor einem Kunstwerk zu stehen, sich beim freien Beobachten zu sehen, ignorieren. Warum soll das, was gesehen wird, mit nichts im Betrachter verbunden sein?  Darin wird der bequeme Standpunkt offenbar, der sich in der Objektivierungs­macht ausspricht.1„Weil es gegen die grundsätzlichen Prinzipien des wissenschaftlichen Diskurses verstieß, der die Trennung von Beobachter und Beobachtetem gebietet. Das ist das Prinzip der Objektivität: Die Eigenschaften des Beobachters dürfen nicht in die Beschreibung des Beobachteten eingehen. […] Indem das wesentliche des Beobachtens, nämlich der Prozeß der Wahrnehmung, eliminiert wird, wird der Beobachter zu einer Kopiermaschine degradiert, und der Begriff der Verantwortung wurde dadurch erfolgreich exkamotiert.“ Heinz von Foerster, „KybernEthik“, Merve Verlag Berlin, Seite 63 und 74 Konsequent begriffen, würde es auch der künstlerischen Arbeit ein Interesseloses Agieren auferlegen – ein von allen Zwecken freies Beobachten, das sich selbst nicht sieht. Eine Art ferngesteuerter, isolierter Modus – entkoppelt von Referenz, Kontext: Das künstlerische wie betrachtende Individuum müsste sich einem interessenlosen Verschwinden anschließen. Dann wuchern die Formen, die Farben sind nur Farben und weisen auf nichts – was für ein Wahnsinn. Diese Krankheit, Missbildung an Wahrnehmungswucher sucht manchen Künstler heim und zugleich treibt sie ihn produktiv an und überführt dieses Geschehen, Symptom in ein kommunikatives, d. h. gesellschaftlich erkennbares Symbol: exhibition. Das meint man wohl, wenn vom Künstler die Rede ist, der aus sich selbst herausarbeitet, obwohl nur seine Isolation spricht. Kunstmachen als ein Handel mit dem Wahnsinn.2Susan Sontag, „Kunst und Antikunst – 24 literarische Analysen“, Fischer Verlag 2009, Seite 58 Solche künstlerische Isolation wird in den künstlerisch operierenden Organismus stetig hinein getrieben, ästhetisch objektiviert und ausstellbar gemacht.3Vgl. Michel Foucault, in: Die Geburt der Klinik, Fischer, Seite 16 Wenn dem Tempo der jäh eigenen Wucherungen nicht mehr standgehalten werden kann, brechen sie zum Künstler als sein ihn einsperrenden Wahnsinn durch: Artefakt4Laut Fremdwörterbuch, Dudenverlag 1991, Artefakt: 1. Werkzeug aus vorgeschichtlicher Zeit, das menschliche Bearbeitung erkennen lässt (Archäologe.). 2. künstlich hervorgerufene Verletzung (meist in Täuschungsabsicht) und machmal Infarkt. Die definite Krankheit ist ein Sturz in körperliche Objektivität. In der Objektivität, „die der Kranke dem Symptom seiner Krankheit verleiht“ – hier wird es wieder „interessant“ und hier übergibt der Patient/ Künstler bereits Ich-Anteile in das Kunstdepot – „ist mit Recht der Ausdruck subjektiver Störung zu sehen.“5nach Michel Foucault, in: Psychologie und Geisteskrankheit“, Suhrkamp, edition suhrkamp 272, Seite 76 Selbst wenn das so ist, ist es noch möglich, durch Selbstreferenz darauf künstlerisch zu reagieren. Die künstlerische Freiheit zur Differenz – zur Form – wird Notwendigkeit, Bedürfnis. Die Frage nach dem Interesse stellte sich nicht. Gerade die Kunst ermöglicht in deren Herstellung wie Betrachtung allen daran Beteiligten das Beobachten als Beobachtung der Beobachtung (unendlich) neu zu inszenieren.

 

 

 

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