161, Vater Gott & Meute

Warum braucht es allmächtig installierte Götterväter, die ihre Kinder hängen lassen, wenn die Väter ihre Nachfolge begreifen und sich von ihr bedroht fühlen? – Als ursprungsmythische Bezugsreserve? Warum frisst die alte Zeit ihre Kinder? Weshalb ist die Vaterfigur im griechisch-antiken Mythos für seine Kinder eine Bedrohung?
In der mythisch überlieferten Geschichte der Griechen (nach Hesiod) ereignet sich eine Umkehrung des väterlichen Verschlingungsprozesses: Statt ein Mord an den Kindern findet schließlich ein (ödipaler) Mord am Vater Kronos durch seinen Sohn Zeus statt. Dieses Vatermorden wird in der Gestalt des Ödipus mythologisch prägnant problematiesiert. Kronos – der selbst mit Anstiftung seiner Mutter Gaia seinen Vater entmannte – frisst seine Kinder, bis sein Sohn Zeus ihm zuvorkommt, um den Bann zu brechen: um die Vaterfigur – für eine neue – zu überwinden. Eine Escherfigur zur Aufhebung der Genealogie ist im Mythos gegenwärtig: Väter fressen beherrschen ihre Kinder, Nachkommen, die irgendwie davonkommen und wieder als Väter ihre Kinder fressen, um als Vater von ihren Kindern als geschichtlich bedrohliche Macht anerkannt zu werden. Die vermutliche Metapher ist, dass die Zeit ihr eigenes Jetzt frisst, nie im Jetzt verweilen kann, um zu überdauern. Der Augenblick hat keine Zukunft. Der Ursprung der Zeit, Chronos, ist eine sich selbst vertilgende Maschine. Wir uns gefundenen Kinder sind stets überlebende. Ödipus, Zeus, die Freudsche Meute.
Kaum der spirituelle wie geschichtliche Urvater „Gott“, sondern schlechthin der eingeschworene Zusammenhalt, die teleologische Reduktion ging verloren, wurde durch den Krieg der Realität mit der Zeit/ Geschichte abgeschafft. Nachdem der Vater erschlagen, wurde sein Ideenreich (als das dem Gottvater überantwortete Ordnungsgebiet) entwickelt, in Epen, Erzählungen und Geschichtchen manifestiert, um den bedrohlichen Zusammenhang der Nachkommen ideell stets neu herzustellen und unter den gemeinsamen Zeit-Ursprungs-Vater erneut drohgebärlich vereinigen zu können. Eine Art Theorie der Abwesenheit. Die durch den Mord erreichte Nicht-Existenz des Vaters, wird spirituell zur allgegenwärtigen, stets latenten „Todesmacht“ vergangener Vater-Geschichte erhoben – jederzeit zur Wiederkehr fähig. Die Nachkommen werden zur potentiellen Schuldigkeit, zum Schuld-tragen am Vater-Mord erzogen. Die Nachkommen sind alle schuldig, weil sie alle Nachkommen der Vater-Mörder sind. In dieser Allgegenwärtigkeit der Schuld behafteten Existenz wird der Vater zu Gott aufgehoben – ohne den Rückgriff auf die Väter würde der Vater nichts zu erzählen oder noch zu drohen haben. Die mörderische Vergangenheit der Väter wird zur Geschichte erhoben und wird Theorie im Gebet, wird zum Alibi für religiös verklärte Drohgebärden: Es nie wieder zu tun – die Hand gegen, an den Vater zu legen. Vor Gott, unserem Vater sind wir zur Sünderfigur degradiert, doch: „Vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“1Matthäus 6,12 (Lutherbibel)

 

 

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