47, Mit Maschinen sehen und sterben

Wie kann den Maschinen ein Zugang zum Denken,  das Malen, Schreiben nahe gebracht – der Umgang mit ästhetischen Formen ermöglicht werden? Wie können wir unsere Objekt-Beziehung zu Maschinen überwinden, um sie endlich als Prothesen in unsere Körper aufzunehmen? Wir probieren es zuerst mit einer Simulation: Turingtests.1vgl. Oswald Wiener, in: Probleme der künstlichen Intelligenz, Hrsg. Peter Weibel, Seite 93 f, Merve Verlag
Umso mehr scheint die Simulation erdachter Aussagen von KI-Systemen unserem sprachlichen Denken ähnlich, weil die von und für Menschen technokratisch instrumenta­lisierte Ratio unserer Sprachspiele in Algorithmen als Simulation von niedergekämpftem Denken daherkommt: die offerierten PC-Maschinen werden als intelligent beworben. Aber sind es nicht unsere weiten, flexiblen Kontexte, unsere Begabung, mehrmals „um die Ecke zu denken“, die uns einen so  großen Möglichkeitssinn gewähren, dass wir auch entfernten Aussagen, die Bedingung der Möglichkeit gestatten. Um so leichter kann selbstreferentielles Denken, sogenannte „Autonomie“ von Maschinen dargestellt – simuliert – werden, sobald das Sprach-System Mensch auf wenige zu befolgende Handlungsoperatoren reduziert werden kann, und sein beobachtetes Verhalten simuliert wird.2Vgl. Humberto R. Maturana, in: Biologie der Realität, Suhrkamp, stw 1502, Seite 59  Verblüffend werden dann nicht Allgorithmen, Turingmaschinen sein, die menschliches Verhalten antizipieren und kaum unterscheidbar zum erwartbaren menschlichen Verhalten agieren, sondern Menschen, die sich mit Verhalten von Turingmaschinen tarnen, je mehr sie formal technokratische Ratio für sich reklamieren. Die sich hier darstellen­den Beschreibungsschwierigkeiten bestehen darin, dass der Beschreibungsstandpunkt nicht vom Beschreibungsgegenstand zu trennen ist. Die kognitiven Anforderungen an das Denken sind nicht von seiner Selbstbeschreibung zu trennen – es kommt über seine Grenze nicht hinaus. Die Paradoxie dieses Zustands vielleicht so formuliert: Die Welt erscheint dir so, wie sie ist, weil du bist, wie du bist und dein Smartphone benutzt.
Die Apps auf Smartphones als allgorithmisch agierende Befehlshaber von  Sozial-Network-Maschinen (FB, Insta, Tik-Tok, Browser, Massenger-Dienste etc.) und deren Bediener sind ein Sinnbild für Turing-Maschinen ohne Künstliche Intelligenz, denn sie agieren nach einer vorgegebenen Anweisungs- bzw. Beschreibungsstruktur, die als Allgorithmen zielgruppenorientiert die jeweilige Beobachtungs-Syntax und Gewichtung ermittelter Informationen implementiert sind. Es sind Daten-Systeme, die eine Blindheit über sich selbst – und: deren Nutzer erzeugen. Von anderer Seite betrachtet, könnten normative, sich wiederholende, zwanghaft logistische Entscheidungsstrategien (in Verwaltungsapparaten) als Turing-Maschinen dargestellt werden, denn die bürokratischen Kommunikations-Akte sind vom menschlichen Agieren entfremdet. Natürlich erzeugen die Regularien von Administation eine Entmächtigung derjenigen, die sie unterschreiben (wie auch derjenigen, denen die Unterschrift gilt), weil die Entscheidungsmacht im Büroturm von den Personen, über die sie entscheidet, weit entfernt operiert. Unter der Beschwörung eines maschinell abgesicherten Ursprungs der Entscheidungskriterien (z. B. in der Organisation des gesellschaftlichen Lebens nach bürokratischen Richtlinien oder wie sie in Gebrauchsanweisungen festgelegt werden) wird die technische Metapher dieser Hypersysteme in einen vom Individuum einzuholenden rationalen Vollzug gebannt: Es galt, die Maschine zu bedienen, den Zug zu fahren. Die Anpassung des Menschen an seine ihn übermächtigenden Lebenspraxis, an die ihn konfrontierenden technischen Medien der Kommunikation (google, amazon, facebook, instagram…), also die Aufhebung, Nivellierung seiner Widersprüche zur Umwelt durch deren digitalen Konsum, wird der permanenten Verwertung zugänglich. Hier trifft sich das Bewußtlose der Maschine mit dem erzwungenen Einverständnis zu ihrer Existenz: Als Richtigkeit formaler Kommunikation.
Die Emotionen beginnen erst wieder zu pochen, wo etwas nicht funktioniert, wo die Anpassungen nicht mehr schützen. Du mußt Dich nur scannen lassen, dann ist alles wieder wie vorher und Du kannst den Stream geniessen… konsumieren.

 


Ratten-Nervenzelle auf einem Microchip, Quelle: Süddeutsche Zeitung, 15. Dezember 1999, Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme: Fromherz, MPI Biochemie

 

Der produktive, der in der Produktion tätige Mensch wird entsprechenden produktionsimmanent durchgeführten Beobachtungsinstanzen übergeben (z. B. in statistischen Untersuchungen, Erhebungen durch Cookis) und sicher gestellt. Er dient dazu, zu zeigen, dass die Maschinerie funktioniert. Wenn das Subjekt schon so eingezwängt wurde, ist es ein Leichtes für von Machtfantasien besetzten, druchdrungenen Allgorithmen, von maschinisierten Machtverhältnissen mit künstlicher Intelligenz, dieses funktionale Verhalten nachzuahmen. Das Web wird mehr und mehr zum Wirklichkeitsersatz entwickelt und übernimmt die eingespeiste Wirklichkeit als quasi evolutionärer fake – Realityness. Als Bio-Adapter3Dieser Begriff insistiert auf Oswald Wieners gleichnamigen Text „Bio-Adapter“ , als Überbrückung unserer Körper. Die Zurückführung des Menschen auf sein automatisierbares (instinktives, tierisches) Potential4„Wissenschaftler binden einen Hund fest und fügen ihm schwache Stromschläge zu. Tags drauf setzen sie ihn in eine flache Kiste und verpassen ihm erneut Stromstöße. Im Gegensatz zum Vortag könnte sich der Hund nun leicht mit einem Sprung über den Kistenrand dem Schmerz entziehen. Doch zwei Drittel der Tiere nutzen diese Möglichkeit nicht – sehr wohl aber all jene Hunde, die zuvor nicht die Erfahrung des unausweichlichen Schmerzes gemacht haben. Die Sitzenbleiber haben gelernt, dass sie sich nicht gegen die Stromschläge wehren können, und die Erwartung bleibt bestehen, auch wenn sich die Situation verändert. Solch „erlernte Hilflosigkeit“ kann man auch bei Menschen nachweisen.“ Süddeutsche Zeitung Nr. 297, Seite 21, Titelzeile: „Ich Chef, du nix“ ist eng an das intensiv beforschte Reservoir kognitiver Vorgänge im Gehirn gekoppelt. Verschiedene Experimente können zeigen, wie die Einfühlung in den eigenen Körper auf einen Dummy übertragen werden kann, so dass ein Messerstich am Dummy als am eigenen Körper erfahren wird.5Eine mögliche Experimentanordnung: Mensch und Dummy haben über den Augen ein Sichtgerät – VR-Brille, wobei der Mensch das sieht, was der Dummy sieht – sich als Dummy. Nach einer Vorbereitungsphase, die der Einfühlung dient, wird mit einem langen Messer dem Dummy über die Haut geschnitten. Das erfährt der Mensch schreckhaft als vermeintliche Verletzung seiner selbst. Diese falsch-richtigen, ja man kann sagen: emphatischen Fremderfahrungen werfen ein neues Licht auf den alten Begriff der Einfühlung. Vielleicht ist die menschliche Einfühlung selbst auf Maschinen als Simulation übertragbar. So kann er der Maschine gerecht entgegen kommen und ihr seine eigene Intelligenz später in Turingschen Sinn unterstellen?6vgl. Oswald Wiener, Probleme der künstlichen Intelligenz, Hrsg. Peter Weibel, Merve Verlag, Seite? Oder: Die Emphatie ist nicht maschinell fühlbar, jedoch: die Maschine kann Emphatisch-Sein durch die Simulation von Emphatie entgegenkommen und die menschliche Intelligenz, Wahrnehmung dadurch manipulieren. Eine Annäherung von beiden Seiten.

 

 

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