77, Fressgier als Besitzgier – eine Skizze

Die Gier nach etwas als Kompensation des Verlusts: Von Beziehungen, Dingen, etwas Anderem oder sich selbst. Darstellbar als der Verlust eines Teils des Selbst, der als kompensatorisches Objekt von Außen, oral wieder zugeführt werden soll. Man wird fett, weil man sich selbst aufrisst. Fressgier zum Beispiel. Der menschliche Verlust führt zu Verlusten an Menschen. Die vielen Armen, Kriege und Dinge, die gebraucht werden, um solches verlustgeplagtes Selbst aufzufüllen. Das Versäumnis der Mutter – zu lieben – kolonisiert, wuchert aus dem Selbst heraus und wird urbar gemacht als produktinvasiver Familienersatz, Fetisch, als Auto oder gefliester Küche, in der sich heimisch gefühlt werden soll, oder in der mit Messern aufeinander losgegangen wird.
Das Beschießen von Anderen, des Anderen ließe sich erklären aus der umgewendeten Besitzgier, also eine auf sich selbst angewendeten Übertragung von Entkörperlichung, Selbstentfremdung, Selbsthass. Die Anderen sind das, was dem Selbst fehlt.
Rückhaltenot durch Entleerung, Abortieren. Das Besitzen (das Draufsitzenbleiben beim Kleinkind z. B.) soll den vorgestellten (projizierten) Entbehrungen zuvor kommen.1Vgl. David Cooper, in: Der Tod der Familie, Rowohlt, Seite 87 Hier sind Sekrete noch Präposition des Selbst, Konstituierendes.2Vgl. Freud, in: Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie, Fischer Taschenbuch, Seite 87 ff (Die masturbatorischen Sexualäußerungen) Das ist durchs Ich hindurchge­gangen, war Ich, vertraut, ja verdaut; verkörperlichtes Ich.
Das gegenwärtig Besessene soll mit dessen Vernichtung in die Vergangenheit gerettet werden, um daraus – sichere – Geschichte zu machen: Fotos ohne Ende. Die gegenwärtige Präsenz des Anderen (Objekts, Gefühls) geht zugunsten der Inkorporierung verloren. Das Haben wird ein Ausdruck der Beschwörung einstmals besessener Gegenwart, in den Analen des Besitzes bleibt der beängstigende Verlust habhaft. Ein Skalp, eine Relique. Abermals verschwindet das bedürftige Objekt in der Fetischsammlung und erfordert Nachschub, fordert zu neuer Vernichtung, Internalisierung des Verlust auf.
Ist die Sehnsucht nach einem das eigene Selbst liebenden Menschen eine Phantasie über Entbehrungen? Eine Verlustanzeige? Ist das nicht die mensch­lichste Besitzgier, sich der Zuneigung eines Anderen sicher sein zu wollen?

 

 

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