177, Geister und Gespenster I – circulus virtuosus

Anpassung oder Konflikt
„[A]lle unsere Operationen sind nämlich wie bei allen lebenden Systemen der Aufrechterhaltung der Invarianz unserer Autopoiese untergeordnet.“1Humberto Maturana, in: Erkennen: Die Organisation und Verkörperung von Wirklichkeit, Friedr. Vieweg & Sohn Verlagsgesellschaft bmH, Braunschweig 1985, dt. Fassung von Wolfram K. Köck, Hrsg. Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt, Siegen und Prof. Dr. Peter Finke, Bielefeld, Seite 268
Wenn die eigene Invarianz – Stabilität – nicht erhalten werden kann, entsteht ein Konflikt zwischen Umwelt und  lebenden System (Mensch). Der Konflikt ist Resultat der Bedrohung der eigenen Invarianz.
Wir beschreiben „ein Ding“ bis es in unsere Beschreibungswelt integriert werden kann oder wir uns mit unserer Beschreibungswelt uns ihm anpassen können (= Lernen) oder nicht (dann verfestigt die Nicht-Anpassung sich zur pathologischen Abwehr).

Es entsteht eine Beschreibung (Erklärung) der Welt, die durch die Beschreibung erst erzeugt wird. Man steht vor einer selbsterzeugten Welt und beschreibt sie mit der eigenen – die hervorgebrachten Beschreibungsresultate liegen im Verantwortungsbereich des Beobachters. Jede Beschreibung ist daher auch eine Selbstbeschreibung – der Beobachter spiegelt den Realitätsbereich wider, die der Beobachter durch seine Beobachtung erzeugt.

Die Beschreibungsvorgänge der bedrohlichen Situation eskalieren den Zustand des von Varianz bedrohten Menschen, wenn er sich nicht anpassen kann. Er steigert sich hinein; es entstehen traumatische Zustände, sich selbst erzeugende eskalierende Schleifen (Rekursion) bis zum Durchdrehen:

Man beschreibt, was man durch Beschreiben erzeugt. Damit wird der Beschreibungsgegenstand in die Welt gebracht: „Menschen können über Gegenstände sprechen, da sie die Gegenstände, über die sie sprechen, eben dadurch erzeugen, daß sie über sie sprechen. D. h. Menschen können über Gegenstände sprechen, da sie diese erzeugen, indem sie Unterscheidungen treffen, die diese Gegenstände in einem konsensuellen Bereich eingrenzen, und da Sprechen, operational gesehen, im selben Phänomenbereich stattfindet, in dem auch Gegenstände als Relationen relativer neuronaler Aktivitäten in einem geschlossenen neuronalen Netzwerk definiert werden. Mit anderen Worten: es ist für uns als Super-Beobachter klar, daß Menschen nur über das sprechen können, was sie durch ihre Operationen der Unterscheidung eingrenzen können, und daß sie als strukturdeterminierte Systeme nur Unterscheidungen treffen können, die ihre strukturelle Koppelung an ihr Medium (andere Organismen eingeschlossen) gestattet.“ (Maturana, ebenda, 264)
„Wenn eine Unterscheidung nicht vorgenommen wird, dann existiert die Entität nicht, die durch diese Unterscheidung eingegrenzt werden würde; wird eine Unterscheidung durchgeführt, dann existiert die geschaffne Entität nur in dem Bereich der Unterscheidung, unabhängig davon, wie die Unterscheidung ausgeführt wird.“ (Maturana, ebenda, 269)

Geister
Die Beschreibung des Konflikts (als Unentschiedenheit zwischen Bedrohung und Reaktion auf Bedrohung) wird Teil des beschreibenden Systems (= Beobachter) – die Beschreibung wird als Beschriebenes für das Nervensystem (geschlossenes neuronales Netzwerk) wirklich.
Aus dieser Verwirklichung heraus wird der Konflikt mehr und mehr beschrieben und durch Beschreibung verstärkt bzw. realisiert. So als würde man beobachten/ beschreiben, was durch das Beobachten erst erzeugt wurde; als würde die Erzeugung des Konflikts gerade durch die hypostasierende2Hypostasieren: Etwas abstraktes zu einem Körper werden lassen (Wikipedia)  Beschreibung des Dinges entstehen.
Beobachten spiegelt den Realitätsbereich wider, in dem der Beobachter agiert, die der Beobachter durch seine Beobachtung erzeugt wie rekursiv bestätigt.
Man kann von einem Homomorphismus von Beschreiben und Verhalten (als Verhältnis zum Beschriebenen) sprechen.

Gespenster
Man interagiert beim Beobachten mit seinem  Realitätsbereich, seinem Milieu und dies wird rekursiv mit dem Beobachteten kontextualisiert.
Aus der Annahme „Eifersucht“ (was hier sowohl Wahrnehmung als auch Verhalten einschließt: man kann nicht Eifersucht wahrnehmen ohne eifersüchtig zu sein) – wird eine Interaktion von Beschreiben/ Erkennen und Erzeugen/ Realisieren losgetreten. Im Beschreiben entsteht eine Beschreibung als Realexistenz für das Nervensystem (das nicht zwischen und inneren und äußeren Zuständen unterscheiden kann) bzw. dem eigenen Realitätsbereich.
Wenn der Gedanke (Eifersucht) in den eigenen Realitätsbereich (Milieu) eindringt ohne beobachtbare Referenz im Beobachteten, ist der eskalative circulus vitiosus eröffnet. Diese psychische Konstellation – Präformierung – des eigenen Realitätsbereiches macht diese selbstprophezeiende Beschreibung erst möglich. Das „Ding“ entsteht als beschreibbar, und macht zugleich die Beschreibung möglich, mit der es erzeugt wird. In diesem Sinn wird das Ding, werden die Gegenstände erst durch das Beschreiben hervorgebracht und nicht beschrieben, weil sie schon fix da sind.