64, Frei sein und nicht verzweifeln

Die Kompanien der Figuren, quer und kreuz in meinem Bildern formieren sich gegen mich, springen aus dem Atelier in meinen Alltag, verfolgen mich, weiden sich in meinem Körper, bleiben nicht in ihrem Revier. Immer Krise am Berg der Entscheidungen. Prometheus an die Leinwand gekettet, Farbtöpfe speiend. So mächtig, aber in den Bildern als Abbild getarnt ohne Relevanz. Ich sehe sie, doch zu wenige andere. Ich bin auf einer Insel, Isola isoliert, und rufe die Wellen an, bevor sie sich auf mich stürzen und mich zurück schwemmen: An die Arbeit! Meine Batterie Sozialisation ist randvoll, hier in diesem Ort, wo nichts ist außer mir. Entkoppelt, befreit von Anerkennung. Oder: Gescheitert an den Barrikaden der Bewerbungsinstitutionen – am Widerstand der Wirklichkeit.

 


1Fallen, Stencil, Lack auf Papier, 170 x 140 cm, 2021, Hans Georg Köhler

 

Mein täglich frisches Scheitern mit Magarine aufs Brot spiegelt des Zusammenhang von Kunst und Leben wider. Von Verwertung und Nachfrage frei – „unter der Bedingung, gesellschaftlich wirkungslos zu sein.“2Dieter Hoffman-Axthelm, in: Theorie der künstlerischen Arbeit, edition Suhrkamp, Suhrkamp Verlag 1974, Seite 7  Die ästhetisch in Kunstwerken symbolisierte Ebene möglicher Sinnwelten konvergiert gegen die ökonomisch abhängige Ebene, die meine künstlerische bedingt. Die Bedingung der Möglichkeit kann ich als Akt meiner Freiheit begreifen, solange ich in dieser Bedingtheit noch Möglichkeiten erkenne, mir sie vorstellen kann, in der Lage bin, sie mir einzuräumen. Was ja heißt, mein Selbstbild vor den Bildern der anderen zu retten (zu verteidigen) oder weg zu schmeißen-
Die im letzten Jahrhundert postulierten Avantgarden sind angetreten, Kunst und Leben – wenn man will: die gesellschaftliche Arbeit und den Genuss als Leidenschaft (Passion) – nicht zu trennen, sondern zusammen zu schweißen. Marx hat diesen Schnitt zwischen „ein eigenes Leben zu wollen und das eigene Leben zu können“ (zu verwirklichen) als Abhängigkeit von sozialen Bedingtheiten mit dem Begriff der Entfremdung markiert.3vgl. Karl Marx, in: Philosophisch-Ökonomische Manuskripte, MEW, Ergängzungsband 1  Das die Produktion des Lebens als Arbeit, als produzierte Ware dem Produzenten entgegen schlägt. Die Erarbeitung von Lebensmitteln dem Leben die Luft nimmt.
Was ich beobachte, ist, dass das ästhetische Handeln als sinnlich gefeierte Individual-Erkenntnis auf politische noch gesellschaftliche Basis eines Eingreifenkönnens verzichten sollte. Wenn man sich etwas verspricht von seinen Werken, dann, dass sie als Warenförmige anerkannt werden. Wenn das gelingt, ist die Ware – mein Kunstwerk – meine Entfremdung; ist mein Sinn, den ich verkaufen muss,  aus mir ausgetrieben, abgetrieben.
Die Realität fungiert als Enttäuschungsprogramm für die in mich gedrängten Wünsche (Möglichkeiten) und Konflikte (Notwendigkeiten). Es werden Artefakte geschaffen und genossen im Austausch, in Vertretung oder Verstärkung uneingelöster Versprechen.4„Das nachbürgerliche Genießen ist sogar um den Wirkungsraum der begrifflichen Anschauung gebracht. Das strukturelle Nachvollziehen ist kein Erkennen, kein Erscheinen des am eigenen Leben Wesentlichen, darum auch keine Tröstung und kein Haltmachen. Es ist substanzlos. Der Substanzverlust ist der Verlust der kindlichen Wünsche. So wird das Machen zum reinen Zwang. Das, was die Macht über alles Sichtbare zu beweisen scheint, erweist sich nach der Seite seiner realen Befriedigungsfähigkeit als ohnmächtig, nämlich der Gegenstände des Genusses, deren Bilder es manipuliert, nicht mächtig. Die Anspannung der Sensibilität bleibt bei sich, verausgabt sich an jedem Bild, ohne sich je durch den Zusammenschluss mit diesem bestimmten Bild erfüllen zu können. Dieser Widerspruch ist innerhalb des Kunstgenusses nicht lösbar. Darum versucht man, ihm auszuweichen, ihn durch gehäufte Genussbilder zuzudecken. Das Genießen hält sich am sinnlichen Reiz der Materialien schadlos, an den Erinnerungen, Sehnsüchten, Voyeurbedürfnissen und sexuellen Wünschen, die diesen Materialien anhaften und ihre Wahl determinierten (…). Die Farblabyrinthe der Präraffaeliten, Friedrichs Himmel, Kodakchrome und der Bromglanz früher Photographien, Chrom und Autolack reizen die Wünsche auf, ohne sie zentrieren und befriedigen zu können – es ist kaum anderes als eine übertragene Verkaufsförderung, die mit dem Kunstmäßigen nicht in Berührung, geschweige denn, was befreiten Genuss markierte, zur Einheit kommt. Das ständige Mehr an durstig verarbeiteter sexueller Bildlichkeit steigert lediglich das Entzugsbewusstsein des ästhetischen Reagierens, ohne den Verzicht in die Innerlichkeit des bürgerlichen Kunstgenusses zu sublimieren. Das alles transportiert die Hoffnungen auf Genuss von Bild zu Bild, erneuert aber ebenso oft den Widerspruch, den es wiederlegen soll.“ Dieter Hoffmann-Axthelm, in: Theorie der Künstlerischen Arbeit, Edition Suhrkamp 682, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 1. Auflage 1974, Seite 95 Die Trennung von Arbeit und Genuss/ Leben wird mit ökonomischen Zwangslagen zementiert und damit als Entfremdungsschere weiter bedient. Trotzdem halten Künstler daran fest – ich auch. Wir arbeiten an unserem selbst gegebenen Versprechen: Der Gesellschaft unsere Kunst zu geben, und – so die verrückte Hoffnung – die Gesellschaft würde die Alimentation des eigenen Schaffens rechtfertigen oder wenigstens das persönlich-ästhetische Bemühen mit Anerkennung trösten. Den Werken und den Produzenten (wieder) ein Obdach geben. Wie naiv. Wie Sisyphos als Idiot, nicht happy. Ja, der Misserfolg verzerrt auch meine Züge. Benötige ich nicht den marktafinen Kunstbetrieb, um das Leben durch den Verkauf meiner Kunst auszuhalten?

 

 

 

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