165, Kontingenz
Die Wirklichkeit ist als momenthafte Ereignisgestalt nicht eine ihrem prozessualen Werden enthobene, d. h. losgelöste Resultatenexistenz. Sie ist immer Gewordenes, so sehr uneinsehbar sie scheinen mag. Die Schwierigkeit besteht darin, dass der geschichtete Prozess des Wirklichwerdens eines Ereignisses für das Subjekt als Vorlauf konfrontierter Wirklichkeit von ihrem akuten, existentiellen Erscheinungsbild überdeckt wird. – Das Subjekt realisiert die Partikel, die Einschläge noch nicht im Zusammenhang, der für es Wirklichkeit werden wird. Dass die erfahrenen Vorwirklichkeits-Funde (die das reale, weil konfrontierende Ereignis erwirken/ zusammenbrauen), die bruchstückhaften Zeugnisse, Erinnerungen ein weit zurück seiendes Gewordenes darstellen, auf das schwerlich unsere Blicke reichen, ist klar, aber schwerlich vom auf das Ereignismoment der Wirklichkeit geworfene Subjekt einzuholen. Woher kann es wissen, was nach einer Entscheidung, die es früher traf, sich als Konglomerat ereignishaft entpuppt?
Archäologie
Abgenabelt sind solche Vorwirklichkeits-Momente als historische Ablagerungen, als Erinnerungen flügge geworden – losgelöst mimen sie historische Selbständigkeit im Marmor, in Gedichten, in Gebäuderesten und Knochengestrüpp. Es scheint, als wäre die Frage: wie kam es zu dieser oder jener Wirklichkeit, eine, die in ihrer Archäologie zu ergründen ist – als Rekonstruktion: Im Moment des Passierens ist sie nicht zu fassen. Das Unfassbare des Jetzt und Hier wird im Wüstensand, in Grabmälern, in Vorderzeit gesucht – vom Winde verweht sind nur die Spuren, aber er führt zu uns, weht uns ins Gesicht: Dort, wo dieser Wind herkommt, müssen wir suchen. So werden wir Fährtenleser unser eigenen Geschichte. Wenn es das geschichtliche Hexenhäuschen gibt, führt auch ein Weg zurück in die Gegenwart. Dass alles, was wir tun, zu Staub und Sediment wie Sprache und Kunst wird, gibt uns die Gewissheit, stetig weiter nach uns zu forschen: In Schichten und Geschichten.
Es nützt uns jetzt nichts, wenn wir uns darauf verlassen, dass wir wieder aus dem Sand gebuddelt werden, um der Geschichte zugänglich zu sein. Wir sind unsere Wirklichkeit: jetzt!