41, Schnittstellen

Schnittstellen markieren Übergänge zwischen unterschiedlichen medialen – also auch sinnlichen – Qualitäten. Sie schaffen Verbindungen zwischen sinnlichen, meist visuellen und habtischen Oberflächen und uns: Inter Faces. Schnittstellen bilden sinnlich wahrnehmbare Übersetzungen – Transformationen – von medialen Differenzen ab: Das Geschriebene wird hörbar, ein sprachlich formulierter Operator („Sprachbefehl“) wird auf Knopfdruck animiert. Wenn wir uns aus-drücken, übersetzen wir uns sinnlich selbst, schreiben auf ein Blatt, was wir fühlen oder bewegen uns im Raum nach Tönen.


„Informator“ (drücken, sehen, hören), mit freundlicher Genehmigung von: © Yaron Zimmermann

Schnittstellen ermöglichen die Aufrechterhaltung von Kommunikation zwischen unterschiedlichen Sinntätigkeiten (Sehen, Hören, Schreiben, Sprechen) und technischen Medien, z. B. am Fahrkartenautomaten – und ermöglichen uns, ein sinnlicher Körper zwischen anderen Körpern zu sein. Schnittstellen sind gleichsam Fähren: sie ermöglichen den Transfer, aber sind nicht das Transportierte selbst (auch wenn sie sich selbst mitschleppen müssen). Sie können als Medium verschiedene sinnliche Qualitäten transformieren. So betrachtet, ist eine Leinwand (surface!) zugleich Schnittstelle und Medium zwischen künstlerischer Arbeit und visueller Wahrnehmung. Auch ein Gesichtsausdruck kann eine Transformation zu gedanklichen Interpretationen auslösen – als Kommunikation inter faces.

S-Bahnhof Schönhauser Allee, Berlin
„Der fruchtbare Augenblick“, S-Bahn Station Schönhauser Allee, vom Bahnsteig aus fotografiert © Hans Georg Köhler, 2020, VG Bild-Kunst Bonn

Unsere Sinnestätigkeit wird anhand zunehmender transformatorischer Schnittstellen-Praxis in Stadträumen auf ein funktionales Moment der Wahrnehmung getrimmt. Dieses funktionale Moment ist als visuelle Überformung von Bedeutungen, Gesten und sozialen Codes vielfältig in erstickender Werbung zu erkennen. Das Wahrzunehmende, besonders in urbahnen Arealen wie Bahnhöfen und zentralen Plätzen, wird kontextuell, funktional auf „rein formale Werte“1Vgl. Brian O‘ Doherty, in: In der weißen Zelle, Inside the White Cube, Hrsg. Wolfgang Kemp, Berlin : Merve Verlag, 1996, Seite 10  und Produkte umgedeutet, abgestellt. Wir sind irritiert oder erleichtert, wenn wir etwas wahrnehmen (können), das nicht als Schnittstelle definiert ist, noch ohne äußerliche Funktion ist.
Die menschliche Wahrnehmungsbegabung – unser evolutionärer Vorteil – wird an Werbeplätze vertickt, funktional besetzt vernetzt.
„Die herrischen Buchstaben und Bilder zwingen uns zum Lesen, während die Dinge der Welt unsere Sinne um Sinngebung anflehen. Letzere bitten; erstere kommandieren. Unsere Sinne Schaffen den Sinn der Welt. Unsere Produkte haben schon – flache – Bedeutung, die um so einfacher wahrzunehmen ist, je weniger elaboriert, je näher dem Abfall sie sind. Bilder, Gemäldemüll; Logos, Schriftmüll; Werbung, Blickmüll; Werbespots, Müllrückstände der Musik. Diese einfachen und niederen Zeichen drängen sich von selbst der Wahrnehmung auf und verstellen die schwierigere, diskrete, stumme Landschaft, die oft daran zugrunde geht, dass sie nicht mehr gesehen wird, denn es ist die Wahrnhemung, die die Dinge rettet.“2Michel Serres, in: Das eigentliche Über. Verschmutzen, um sich anzueignen, Berlin 2009, Seite 76 – zitiert in: Byung-Chul Han, Topologie der Gewalt, Matthes & Seitz Berlin 2011, Seite 143