159, Kunst und Wahnsinn II

Die Karriere des Künstlers, Patienten beginnt mit dem Eingriff in seine Ausdrucks-Gebiete: durch Sanktionierungen  seiner Ausdrucksmöglichkeiten -bzw. Resultate (Wettbewerbe, Stipendien, Galerien etc.). Diese gleichwohl seine Arbeit fördernden Möglichkeiten werden durch den Wettbewerb um diese Möglichkeiten auf die bloße, unwahrscheinliche Chance, auf lediglich die Chance darauf, reduziert. Eine künstliche Verknappung der Kunst zur Ware, damit hohe Priese stabil gehalten werden können. Das soziale Phänomen ‚Kunst‘ wird in eine warenförmige transformiert. Das vermeintlich knappe Aufmerksamkeitspotential öffentlicher Wirkungen strukturiert die Daseinsberechtigung von Kunstwerken. Diese Formierung, „Strukturierung“ des künstlerischen Subjekts als abhängiges von den vorgegebenen Sanktionierungen, macht dessen Deformation für die Öffentlichkeit, für das künstlerische Werk wieder produktiv. Diese Überwindungs-Arbeit kann als Scheitern oder Image definiert werden. Die Annektion des Ausdrucks-Seins durch pathologisierende oder marktmäßige Zuschreibungen – wenn der Künstler, die Künstlerin als gescheitert gilt oder vom Scheitern in Depressionen sich erholt – verpflichtet ihn und sie, die eigenwilligen, ausdrucksmäßigen Entscheidungen abzugeben. Entweder man nimmt den lebenslangen Wettbewerb an oder überführt sich als Idiot – zum Branding ist’s ein kleiner Schritt. Im Notfall keine Gewähr.
Der kalkulierbaren Indikation folgt der berechenbare Künstler-Patient. Die Anamnesen, Kontexte des Aufmerksamkeitswettbewerbs werden vereinheitlicht – demokratisiert. Die Konstituierung des Künstler-Subjekts erfolgt durch einzwängende Umstände. Es oszilliert zwischen ihnen. Wie kann es aus diesem determinierten Umfeld gegen seine Konstitution angehen?1Vgl. Judith Butler: „Wie kann das Subjekt als Bedingung und Instrument der Handlungsfähigkeit zugleich Effekt der Unterordnung als Verlust seiner Handlungsfähigkeit sein? Wenn Unterordnung die Möglichkeitsbedingung der Handlungsfähigkeit ist, wie läßt sich die Handlungsfähigkeit des Subjekts dann als Gegensatz zu den Kräften seiner Unterordnung verstehen?“ In: „Psyche und Macht – Das Subjekt der Unterwerfung“, Gender Studies, edition suhrkamp 1744, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main, 2001, Seite 15
Selbst die wuchernde Rationalität der Vorschriften oder die Rationalität der wuchernden Vorschriften sozialisiert noch, macht den Lebens- bzw. Leidensdruck für den Einzelnen allgemein und wird quer durch die Köpfe herunter gebrochen zur Normalität des Lebens. Normalität ist das, was man nicht ändern kann. Sie greift stabilisierend ein. Geschriebenes wird Vorschrift – Anweisung zur Maschinen- und Menschensteuerung.2Oswald Wiener, ebenda, Seite 12: „Wenn der Schritt vom Ideogramm zum Alphabet ganz gewiß auch ein Teil der Verwandlung von Sprache in Information ist, so bedeutet ebendies eben einen Machtzuwachs des Staats: alles Geschriebene ist Vorschrift, der Buchstabe des Gesetzes erst realisiert die Wirklichkeit, ruft sie durch Beschreibung erst ins Leben (d. h. macht sie sichtbar durch Etikettierung d. h. Schilderung), liefert die authentische Interpretation.“ Die „Verwandlung“ jeglicher Kommunikation in sprachliche Notation als fest Geschriebenes erfordert sicherlich Handlungsanweisungen, um ihren „Umlauf“ zu protegieren oder zu ermöglichen. Diese Handlungsanweisungen bestimmen insofern damit den Informationsfluß in Inhalt und Form. Erst in dieser Abhängigkeit, in der Angewiesenheit auf sprachlich notierte Kommunikationskanäle erhalten jene Alphabete (gesetzgeberisches) Machtpotential.

Der Realismus gewöhnt uns an
die Niederlage
gewöhnt uns an den Realismus.

 

 

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