146, Sorge tragen

Es gibt diese merkwürdige Sorge, dass jemand etwas anderes macht als der sich Sorgende und dass der andere es macht ohne den Sorgenden – sich also seiner Kontrolle entzieht: Wie ist es gemeint, wenn dauernd die sorgende Person um Verständnis des Sich-Sorgens zittert ebenso wie die, der die Sorge gilt? Wann kommst du, wann gehst du, wohin? Ich möchte, dass dir Nichts passiert. Diese vorgebliche Sorge formuliert Schutzbehauptungen, unter denen eine Kontrolle des anderen stattfindet. Die Empathie überspringt den anderen Körper, indem er auf den eigenen abgestillt wird. Empathie als Abgrenzungsgebaren im hierarchisch geprägten Feld.1Vgl. Henrike Kohpeiß, in: Bürgerliche Kälte, Affekt und koloniale Subjektivi-tät, Campus Verlag Frankfurt am Mein, New York: 2023, Seite 286 bis 293 Ich benutze deine Gefahr als mein stolzes Leiden.
Die Sorgenden können nicht bei sich bleiben und binden den Anderen mit ihrer Sorge an sich. Die erwartete Sorge der anderen löst im umsorgten Subjekt selbst vorauseilende – die äußerlichen Intentionen erfüllenden – Besorgungen gegen die es Umsorgenden aus. Das versorgt den Sorgenden mit Zweifel. Die kollektiv (oder auch familiär) ausgelöste und eingefleischte Präsenz der Sorge im Bewusstsein des jeweiligen Subjekts erfüllt und erzeugt als Kontrollinstanz ihren Sog auf die Betroffenen. Im Ausweichen, im Schutz vor ihrem Raster wird dem Sorgenden kein Anlass gegeben, das besorgte Subjekt unterwirft sich dem sorgenden. Die angenommene Sorgenmasse, das Erwartungsfeld der Sorge, bedingt Erwartung und ist Verpflichtung. Grob gezeichnet entsteht eine Verpflichtung gegenüber dem sich Sorgenden: Aus der Sorge wird Erwartung zu erwartbaren Handeln gestrickt bis sie als eigene Verpflichtung zur Schlinge um den Hals wird. Der Be-Sorgte besorgt die erwünschte Rückkopplung für den Sorgenden. Es ist klar, dass die auf eine Person projizierte Erfüllung von Erwartungen (als kontrollierende Sorge) nur von ihr angenommen, nur sie sich der angezeigten neu entstehenden bzw. vorhandenen Bindung unterstellen kann, weil sie sich damit sozial aufgehoben wähnt (= soziales Vertrauen als vertrauen auf den Schutz) – oder sich damit auf diese Weise im konstituierenden sozialen Umfeld Marken seiner Orientierung und Einbindung schafft. Verlust von Autonomie zugunsten einer stabilen Abhängigkeit innerhalb einer Beziehung (Familie, Arbeitskollektiv, Verein).

 

 

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