1, Variablen

Ich trete heraus und falle in einen Schacht eines stetig wachsenden Gebäudes. Mit jedem Blick und jeder These wird eine Ebene eingezogen, und die Druckmaschine liefert ein neues Stockwerk aus. Ich sitze im Fahrstuhl und komme nicht an: Unten. Im Rausch zeichne ich die Etagen. Ideen wie Maden kriechen aus meiner pergamentenen Haut. Vielleicht ist es genau dieser Fahrstuhl, auf den sich diese Textmaschinen beziehen? Wollen die auch mitfahren, um aus ihrem Dschungel raus zu kommen? Haben die kein Fleisch mehr? Noch sind sie nicht drin.

Die vorbeirauschenden Stockwerke bilden die mich erfassenden sozialen, literarischen und künstlerischen Kontexte ab, und ich halte mich an ihnen fest, um ihre Kriterien durch mich zu prüfen und kennenzulernen. Die Problematisierung des Subjekts in der Literatur soll hier als Problem des Subjekts mit der Literatur oder als Suche in ihr vorgestellt werden. Ich nehme die Literatur wörtlich, wende sie an. Ich drehe die Perspektive um. Ich möchte die referentiellen Untiefen des da hinein und auf sich selbst starrenden künstlerischen Ichs für den Blick freigeben: Für seinen. Ich möchte erzählen, was die Kontexte in Bezug auf meine Arbeit bewirken, anrichten: permanentes Oszillieren der Differenz bis zum Entscheidungsdilemma. Ich möchte über das schreiben, was ich gelesen, erfahren habe und den mich umstellenden Kontexten, Codes und Metaphern, ein Feedback geben: den Angeboten nochmal nachfragen. So, als würde ich die Verarbeitung dieses literarisch-kontextuel­len Materials eben diesem Material wieder einschreiben können. Eine Übung zur Selbstreferenz. Mein Blick, die Beobachterposition wird hier nicht durch die produzierten Kontexte verschlungen. Der durch die sprachliche Arbeit am Text eingenommene Abstand wird durch dessen permanent neu produzierten Blicke, Kontextualisierungen verwischt, gesprengt. Ist ein Systemwechsel (eine Überwindung des Ich-Körpers) – besser: die Änderung eigener Haltung durch permanente Selbstbeobachtung (-referenz) möglich? Eine schmale Grenze zwischen Arzt und Patient, Symbol und Symptom. Ich weiß, dass die Referenz der Referenz – des alles schon irgendwie und irgendwo Gesagten – die Unmittelbarkeit eines Textes, d. h. seiner sinnlich-sprachlichen Formen entleeren kann. Ich versuche also, mit anderen Blicken meinen Blick zu sehen. Ein schizoides Programm zur Selbsterkenntnis. Mir ist klar, dass ich damit an die Grenzen der Verständlichkeit stoße. Das literarisch-abstrakte, kontextuell-gefangene Subjekt will ich durch meinen schwitzenden, kämpfenden und schreibfähigen Körper konkret machen. Ich interessiere mich. Umstellt von Kunsttheorien, wissenschaftlichen Kontextualisierungen und gesellschaftlich etablierten Wahr­nehmungs- und Kommunikationsmechanismen, konvergiert der ästhetisch agierende Operand – das bin ich – gegen seine eigene Arbeitsbasis, seine Anschlussfähigkeit. Das eigene Leben wuchert gegen mich und erzeugt eine intrinsische Bewegung: Der Bohrer drillt sich selbst. Das heißt: Die gesellschaftliche Inthronisierung von Herrschaft – gegen jeden – und Knechtschaft – für alles – im Subjekt höhlt es aus. Ich bin meine innere Kolonisation. Ich bin das Skalpell, das mich freilegt.

Kein Realismus, sondern Realität – keine Handschrift, sondern Handgemenge – kein Zitieren, Zeigen, sondern alles durchführen.

Nur Wahl und Qual zwischen psychischen Zuständen und Erschöpfungen Herr zu werden. Ich stelle einige der zur Beschreibung ästhetischer Prozesse ver­wendeten Hypertextualisierungen = Mystifizierungen dar, und will zeigen, wie die in der Produktion von künstlerischen Aus­drucksweisen verwendeten Codes (= formale Unterscheidungsanweisungen) sich dem Prozess der Kontextualisierung, der Vervielfältigung von Komplexität aussetzen und gleichermaßen ihm oppo­nieren und dadurch den darin erzeugten Bedarf an Beobachtung bzw. Beschreibung verstärken. Erkenntnis als funktionelle Zerfaserung. Die etablierten Kontextualisierungen von Kunstwerken, in denen sie symbolisch als human, kulturell, identitär und historisch aufgeladene Artefakte im offiziellen Kulturbetrieb, der Kunstzeitung verhandelt werden, stützen sich auf das von ihnen selbst konstruierte Gebilde eines Künstlersubjekts. Im aktuellen Kunstmarkt-System (Kunstmessen, Galerien, Printmedien etc.) kann der Eindruck gewonnen werden, dass nur durch die exklusive kunstgeschichtliche Kontextualisierung der Kunst-Besitzer selbst oder durch deren legitimierende Verweiskonstruktionen die Bedeutung eines Kunstwerks gesichert werden kann.1vgl. Gregory Bateson, in: Geist und Natur, Suhrkamp Verlag, Seite 28– Unmittelbar erfahrbare Sinnlichkeit durch ein Kunstwerk, das außerhalb dieser Spielregeln sich anbietet, scheint unmöglich, unprofessionell oder zu profan. Die Bedeutungshoheit obliegt dem Kunsthandel. Das Wagnis einer individuell erfahrbaren Sinnlichkeit des Kunstwerks ohne Kontextprothesen wirkt abenteuerlich, unvorbereitet und unverkäuflich. Ist das interessant? Ist das wünschenswert? Die andere Seite würde bedeuten, dass ein Kunstwerk als geschlossener Datensatz angenommen wird und dadurch unmittelbare Erkennbarkeitsbedingungen herstellt. Das würde einerseits bedingungsloses – also ein von anderen Bedingungen freies – Interesse erlauben, d. h., es ermutigt geradezu zur Freiheit des Betrachtens und andererseits fordert es zur Ernsthaftigkeit gegenüber dem dargestellten Medium (Bild, Skulptur, Musik, Tanz usw.) wie der eigenen, individuellen Wahrnehmung heraus. Im Kunstbetrieb wird die Auswahl von ausstellbaren Werken von den Koordinaten des Kunsthandels bestimmt.2zum Geschehen im Kunstbetrieb vgl. Julia Voss, in: Hinter weißen Wänden – Behind the White Cube, Merve Verlag Berlin, 2015 Der Deal mit der Aufmerksamkeit kann keine Rücksicht auf die Sinnlichkeit nehmen. Besucherzahlen lügen nicht. Die strukturellen Hürden sind für Künstler, die ohne Galerievertretung ausstellen wollen sehr hoch. Die Nicht-Ausstellbarkeit wirkt sich auf die Herstellbarkeit von Kunst aus. Die künstlerische Intention als sedimentierter, poetisch wirksamer Theorie- und Bildstoff, als der in Formen gepresste Kommunikationsfaden zwischen Mensch und Umwelt gefasst, ist eine selbstreferenzielle wie selbstenthauptende Schleife. Das künstlerisch tätige Ich wird zur Wirklichkeit seiner Umstände geschliffen. Es wird zur funktionellen Fiktion eines „Künstlerdaseins“. Diese Ich-Fiktion ist Realität, weil sie Handlungsanweisungen erzeugt. – Solang man es durchhält. Diese Fiktion funktioniert, weil man „ihre Form wahrt“ und dadurch reproduziert. Eine professionelle Form, in der die Korruption, die persönliche Instrumentalisierung, die marktüblichen Tarnungen verhandelt werden.