142, Wollen wir, was wir tun?

Über Willensfreiheit

„Wir tun nicht, was wir wollen, sondern wir wollen, was wir tun.“ Benjamin Libet (link)

Als Akteure handeln wir auf einem Weg, der von unseren Gedanken schon ausgemacht und angewiesen war. Im Modell der Willensfreiheit wird davon ausgegangen, dass unser Tun einem projektiven Willen folgt. Das Zitat dreht diese Auffassung um: Es spricht vom Willen als retrospektive Artikulation. Das wir tun, was wir wollen, entspricht unserem bisherigen Verständnis, in dem unser Handeln im Parcours eines geistigen Vorschusses – ausgedrückt als Wille – entsteht. Unser Tun scheint ein nachhinkendes Gestell unser willentlichen Vorstellung zu sein. Hinken wir wie Hephaistos einem vorgezeichneten Weg nach, unserem Willen? Oder dient der Wille als kompensatorische Rechtfertigung für das, was wir getan haben? Die Vorstellung vom Bild ist fertig, der Plan da. Der Künstler malt sie nur aus? So ist es nicht. Beim Malakt passiert es oft anders: Ich finde Formen, Farben ohne willentliche Klarheit, wie aus einem unreflektierten Inneren strömen – intrinsisch – Formen und Farben auf das Papier. Wenn nichts daran korrigiert wird, es bleiben kann, wie es wurde, dann heißt es retrospektiv: „Ich wollte das so.“
Das ungefähr Vorgestellte während des künstlerischen Arbeitens treibt zur Materialisation, Umsetzung – gibt Gedanken im Nachhinein Rechtfertigung ob ihrer Realisierbarkeit. So kann eingeholt, ausgeglichen werden, um das Vorgestellte in den Begriff, in das am Material zu begreifende zu bringen.

Einwand gegen das Intensions-Paradox von Benjamin Libet:

Der Mord ist da, aber wer tötet, wenn keine Aktion einem Willen zugrunde liegt? Eine Frage von: Dopaminmangel, Serotoninüberschuß?1Peter Janisch geht in seinem Beitrag „Der Streit der Welt- und Menschenbilder in der Hirnforschung“ explizit auf die wissenschaftlich-methodischen Probleme des hier behandelten Libet-Experiments ein. In: Philosophie und Hirnforschung, Hrsg. Dieter Sturma, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, Seite 87 – 92 Findet sich. Lernen bedeutet, mit Motiven im Nachgang die Tat, die Gewalt zu beschreiben und zuzugeben, dass sie dem Mörder im Töten verborgen waren. Fatal aber selbstverschuldet. Wie ferngesteuert. Da ist eine Schlacht im Gang, endlich das selbstverschuldete Menschsein abzuwerfen. Eigenverantwortung ist Schlacke, kulturelle Asche. Es waren meine Nerven, nicht ich!

Es ist eine Notlage als Körper notwendig zu sein und sich tagtäglich – für kleine Lustprämien2vgl. Gerhard Roth in einem Interview der Zeitschrift P.M., April 2004, oder in Gehirn & Geist, Nr.: 6, Seite 33: Es könne davon ausgegangen werden, „dass all diese Prozesse [„z. B. Imagination, Empathie, das Erleben von Empfindungen und das Treffen von Entscheidungen bzw. die absichtsvolle Planung von Handlungen“] grundsätzlich durch physikochemische Vorgänge beschreibbar sind.“ Sigmund Freud äußerte das noch als Hoffnung [„Unsere Annahme eines räumlich ausgedehnten, zweckmäßig zusammenge-setzten, durch die Bedürfnisse des Lebens entwickelten psychischen Apparates, der nur an einer bestimmten Stelle unter gewissen Bedingungen den Phänomenen des Bewusstseins Entstehung gibt, hat uns in den Stand gesetzt, die Psychologie auf einer ähnlichen Grundlage aufzurichten wie jede andere Naturwissenschaft, z. B. wie die Physik.“ in: Abriß Der Psychoanalyse] und es kam ihn darauf an – so Hermann Lang, in: Strukturale Psychoanalyse, Seite 36 – „psychosoziale Phänomene in physiko-chemischen Gesetzmäßigkeiten aufgehen zu lassen.“ – bereit zu stellen. Auf der Durchreise im ewigen Verkehr. Fahrer eines ihn überdauernden Autos. Dauerndes Einpegeln auf genau den Körper, der auszuhalten ist. Meiner. Ein poröses Gleichgewicht zwischen Erhaltung und Absterben, manchmal Trieb als Zeitvertreib. Keine Störungen durch sich, den eigenen Körper zu dulden als minima Moralia. Bleibt das nicht unlösbar? Überall ist in den Zellen ein Sterben und ein Reden von dem der Körper nichts weiß. Le coeur a ses raisons, qui le raison ne connaît point. (Blaise Pascal) Bis dahin können wir den Willen in sein physikochemisches Zuhause der populären Neurologie schicken. Dort wird die menschliche Schwäche (das Ausgeliefertsein an die körperliche Bedingtheit), die Emotionalität als steuerbar, handhabbar erachtet. Man gibt zu, dass von Außen her Einflüsse ins Subjekt drängen, damit das Subjekt sich seinem Willen ergeben kann, oder sein Wille aufgrund seines Tuns sinnvoll wird. Das Außen, das Reale kommt uns Handelnden als Referenz unseres Willens entgegen. Die erkannte Notwendigkeit zu handeln, sei nur die private Münze des geäußerten Willens, um sich als Individuum zu konstituieren.
Der Überlebenswille nur eine Ableitung der Fatalität chemischer Elemente, hormoneller Einflüsse in unseren Hirnen? So gesehen, sind wir dem (durch die populäre Literatur gepushten Narrativ) Serotoninmangel oder Dopaminüberschss unterlegen – es bliebe uns aber, so zu tun, als würden wir unser Dasein regeln, was schon durch Chemie und Neurologie geregelt gilt. Als wäre das Leben lediglich eine Frage korrektiver Medikamente.
Das Intensions-Paradox beschreibt, dass das Handeln weit weniger einem unterstellten Willen folgen würde und dass das Handeln einer determinierten Handlungsintension unterliegt, die den Menschen als ein zum Willen über sich selbst begabtes Wesen in Frage stellt. Benjamin Libet wird nachgesagt, in seinem „die Willensfreiheit untersuchenden Experiment“ herausgefunden zu haben, dass die Aktionspotentiale für die geforderten motorischen Bewegungen (Bewege den kleinen Finger…) dem gesprochenen Befehl voraus eilen (ca. 500 – 600 Millisekunden). Woraus der Schluss gezogen wird, das wir wollen, was wir tun. Was ist daraus zu entnehmen?
Das Ich wird sich erst selbst real, wenn es sein Denken, sein neuronales Flimmern hören, sein Darüber-sprechen wahrnehmen kann. Es wird sich durch seinen Willen gewahr. Sofern von differenzierten Arealen, Modalitäten3Vgl. Karl R. Popper, John C. Eccles, in: Das Ich und sein Gehirn, Piper Verlag München: 2002, Seite 513 unten – also von Zentren für bestimmte nervale Aufgaben (z.B. Sehzentrum) gesprochen werden kann, sind die zu benutzenden Wege der Kommunikation, der Gedankenarbeit und damit ihre Raum- bzw. Prozessstruktur – als Einheit von Netz -und Knotenwerk – voraus zu setzen. Die Verteilung von Informationen (Aktionspotentiale als Informationen) setzt Kommunikation in Gang: erzeugt aus der Kulisse vieler Nerven-Stimmen – das oft zitierte Rauschen – wird die Bereitschaft für bestimmte Effekte erwirkt – bis aus dem Rauschen ein Bild, ein Wort, ein Handgriff wird. Wir meinen darüber zu denken. Die Qualität der Wahrnehmung oder die Beschreibbarkeit des Wahrgenommenen hängt von diesen – evolutionär erprobten – Übertragungs- wie Transformationsprozessen und den damit konstituierten Wegen ab. Die Information (es feuert, es feuert nicht) transformiert den neuronalen Zustand in neuronale Struktur (die Information hinterläßt Spuren) und neuronale Struktur qualifiziert, ermöglicht wiederum bestimmte neuronale Zustände. Transport, Transformation und Struktur (Transportwege) bilden eine Einheit. Dass das Gesehene Gesprochenes wird und eine Beschreibung findet, ist als Auslesung der abgebildeten Transport-, Transformations wie -Informationsstruktur vorstellbar. Wie ein sprachhochheitlicher Scan. Weil wir unser Denken hören, aussprechen können, vermuten wir, dass das jeweilige Aktionspotential zu einer möglichen Handlung (einer noch zu bestimmenden, noch gesuchten Handlung) später erzeugt wird, also nach einer Intention, nach dem sprachlich rekapitulierbaren Befehl wie: nimm den Becher. Es erscheint uns daher, dass wir eher – also vor der kommentierten Aktion – darüber sprechen, dass das innerliche Sprechen also auslösende Funktion hat, weil nach dem Sprechen sich der Finger tatsächlich bewegt. In unserer (sprachlichen) Wahrnehmung verläuft die Zeit stringent auf die Bewegung des Fingers zu. Nehmen wir an, dass in der nachgeordneten, postintentionalen Ebene der Informationsumwandlung4Information kühl als Änderung des Erregungszustandes beschrieben – dort wo die Chemie langsam Geist wird – sich das Gehirn sein energetisches Fortschreiten oder Prozessieren (sprachlich) mitteilt; es unterrichtet sich selbst. Das Sprechen berichtet somit selbst, das es nicht Initiator des Berichteten ist, sondern es kommentiert den Vorgang im Gehirn: den Areal- und oder Qualitätswechsel der Aktion – also die Veränderung ihrer Zustandsschwelle und die Änderung des nervalen Ortes. Der Befehl, den rechten kleinen Finger zu bewegen, begleitet wenigstens den (Willens-) Akt der Bewegung, statt ihn auszulösen. Das heißt nicht, dass der Fingerbewegende willenlos sei, sondern nur, dass das sprachliche Einholen (Kommentieren) des Willens auch Zeit für dessen Formulierung bedarf. Das Wollen geht hier nur dem Versprachlichen-können voraus. Oder ist das Aussprechen eines Willens eine Nachreichung? Der Prozess des willentlichen Denkens ist nicht mit der uns gewohnten Vorstellung >>wenn wir sprechen auch zugleich zu denken<< identisch. Sei der Willen vorsprachlich, so doch nicht unbewusst, d. h., wir selbst können uns darüber unterrichten, obgleich wir nicht unseren Willen vor der Handlung sprachlich verifizieren können. Dass wir erst scheinbar im Nachhinein unseren Willen sprachlich aktualisieren können, spricht nicht gegen die Intention bzw. einen vorgefassten Willen. Wir können sprachlich Wollen, sprachlich zitieren, was wir unsprachlich schon neurologisch (gewollt) taten (im genannten Experiment als Aktionspotential gemessen). Der neurologisch intendierte, agierende Wille, läuft zeitlich seiner sprachlichen Fixierung voraus. Es benötigt schließlich Zeit, das Gewollte zu formulieren, es einzudenken, einzusprechen. Der Abstand zwischen Aktion und Formulierung ist nicht zu hintergehen. Dass die Äußerung dem dafür notwendigen Aktionspotential (Bereitstellungspotential) zeitlich versetzt, hinterher hinkt – dass das Sprechen auf die physikalische Reihenfolge der Ereignisse reagiert-, heißt deshalb nicht zwingend, dass der Wille – wie auch immer das genannt werden kann – lediglich an die Instanzen des Gehirns andockt und daher determiniert vom physiko-chemischen Haushalt ist. Die sprachliche Artikulation des Willens kann später erfolgen – abhängig von der Geistesgegenwärtigkeit des Sprechers. Wir sprechen immer hinter dem Denken, dem nichtsprachlich zu referierenden Willen her.

Wenn der Wille als determiniert entlarvt wird (G. Roth u. a.), entsteht die Schwierigkeit zu erklären, dass dieses mit nicht kalkulierbarer Willensgewalt ausgestattete d. h. beschränkte Wesen, das von einer unbewussten Willkür beherrscht scheint, imstande ist, zu lernen. Lernen nicht als Vollzug einer logischen Technik oder technischen Logik aufgefasst. Versinnbildlicht: jede Operation – alles Handeln – bedingt neuronale Zuwächse, Zustände. D. h. jeder neuronalen Operation wird ein bestimmtes physiko-chemisches Potential als neuronaler Zuwachs, Nicht-Zuwachs zugewiesen.5Arbeit, die von entscheidender Bedeutung war. Sie trug den Titel „A logical calculus of the ideas immanent in nervous activity“ und handelte von der Funktionsweise und Impulsaufnahme und -weitergabe von Neuronen. McCulloch und Pitts zeigten, daß eine einzelne Nervenzelle die merkwürdige Eigenschaft besitzt, daß sie, wenn ein Reiz sie erreicht, entweder reagiert oder nicht reagiert, aber nichts tut, was zwischen Reaktion und Nichtreaktion liegt. Sie feuert oder sie feuert nicht, schickt über das Axon einen elektrischen Impuls oder schickt eben keinen Impuls. Wenn dieser elektrische Impuls nun eine zweite Zelle erreicht und wenn diese Zelle womöglich noch von anderen Zellen Impulse bekommt, dann entstehen merkwürdige Kombinationen. Und wieder gilt: Diese zweite Zelle, die von verschiedenen anderen Zellen Impulse bekommt, feuert oder feuert nicht. McCulloch und Pitts haben gesehen, daß sich diese Aktivität einer Zelle als die Errechnung einer logischen Funktion begreifen läßt, die da lautet: Ja oder Nein! Feuern oder Nichtfeuern! Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen wurde es schließlich möglich, sich Nervennetze vorzustellen, die alle logischen Funktionen errechnen. Und dann begann man weiter über diese Nervennetze zu spekulieren, die doch eigentlich, so glaubte man, in der Lage seien, über die Gültigkeit oder Nichtgültigkeit eines Satzes zu entscheiden. Man gibt einen Satz in ein Nervennetz hinein – das letzte Neuron, das von dem Impuls dieses Satzes erreicht wird, feuert nicht: Der Satz ist also falsch! Oder es feuert: Der Satz ist also wahr! Das Nervensystem läßt sich, ausgehend von diesen Annahmen, als eine Art Rechner interpretieren, der ein logisches Kalkül durchführt. Und ein Neuron erscheint aus dieser Perspektive als ein Operator, der solche logischen Funktionen berechnet. Diese faszinierenden Ideen und phantastischen mathematischen Gebilde gestatteten es schließlich, künstliche neuronale Netzwerke zu bauen.“ Heinz von Foerster im Gespräch mit Bernhard Pörksen, in: Heinz von Foerster und Bernhard Pörksen: „Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker.“ Carl-Auer-Systeme Verlag, Heidelberg: 2019, Seite 109 Willentlich zu agieren, ließe sich mit dem statischen Vermögen interpretieren, das aus der konstruktiven Arbeit des Lernens, des Erfahrens gewonnen werden konnte. Es ist nur das zu wollen, was jene Statik aushält, oder: Nur aus dem Gelernten ist ein Wille zu bilden. Lernen als hinkommen, nicht ankommen. Etwas zu wollen, ist dann als vorgestelltes, antizipierendes Ankommen auszudrücken. Der Wille insistiert auf Erfahrung und Erfahrung generiert Willen zur Entscheidungsfalsifikation. Mit dem Vorschuss des Gelernten aufs Neue gehen: Ist dies nicht als Wille begreifbar? Die Möglichkeit des Erreichens einer Bewegung (Bewegung des Fingers), eines Begriffs – aneignend, oder mimetisch, oder Aneignung durch Mimesis – ist der Willensäußerung inhärent.6mehr zur Diskussion bietet Peter Janich an, in: Der Streit der Welt- und Menschenbilder in der Hirnforschung, aus: Philosophie und Neurowissenschaften, Hrsg. Dieter Sturma, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2006, Seite 87 bis 92, und Dieter Sturma: Ausdruck von Freiheit, ab Seite 187, sowie Herbert Helmrich mit seinem Essay „Wir können auch anders: Kritik der Libet-Experimente“, in: Hirnforschung und Willensfreiheit, hrsg. von Christian Geyer, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2004, ab Seite 92

 

 

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