153, Statistik über Kranke und Verkäufer

Die Differenz zwischen der 90 prozentigen Wahrscheinlichkeit an einer bestimmten Krankheit zu erkranken1als ein in Zahlen ausgedrücktes Sicherheitsbedürfnis, das in Angstmache aufgelöst wird und den im Auftrag ermittelten, tatsächlichen Krankenzahlen: Z. B. 100.000 ermittelte Kranke gegenüber 70.000.000 möglicherweise Gesunden: von den Verkäufern von Medikamenten aus betrachtet, sind das unerkannt Kranke, die noch nicht wissen, das sie eine hohe Wahrscheinlichkeit an X zu erkranken.
Wird die Krankheit den Renditeerwartungen von Medikamentenherstellern unterworfen? Oder unterzieht sich der Mensch den an ihn gestellten Gesundheitserwartungen doch?
Dem als (geistig) krank Gestempelten fehlt seine gesunde Referenz, er erkennt die Differenz nicht. Steht der Betroffene noch im sozialen Arbeitskontakt – macht er seine Arbeit/ die Arbeit der Anderen – ist dessen Kranksein nicht beschreibungspflichtig. Er ist zwar schon eingeliefert (ins Büro, ans Fließband), aber braucht nicht behandelt zu werden. Es ist eine persönliche Angelegenheit. Das Kranksein wird im gesellschaftlichen Funktionsfeld individualisiert, als Privatsache verniedlicht. Die Angelegenheiten, die der Patient für andere im Produktionsprozess erledigt hat, verfolgt ihn. Im Individuum steckt das jeweils Unwohle, das den Betrieb stört. Persönlichkeit stört den Betriebsablauf und erfährt ihren nur privaten Sinn, als Abgegrenztes (die „Unberührbaren“ in Indien) und nicht als etwas, das sich durch das Ausgrenzen von den Anderen erst konstituiert. Selbst das kranke Sein wird out of personality markiert. Es ist dein Problem, mann.
„Der Mensch verweilt nicht bei dem Schmerz eines anderen, wenn er ihm nicht helfen kann.“2Brecht, in: Schriften zur Literatur, II. Band, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main: 1967, Seite 37

 

 

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