89, Sprache und Territorium

Die Differenz zum unmittelbaren Wahrnehmungs-Ereignis-Objekt zu seinem ausgestoßenen, abgedrückten Erinnerungswert, produziert Täuschungen, sprachliche Fehlstellen, die sich in der Sprache als körperliche Bemächtigung, als Ungenügen ohne entsprechenden Begriff zeigen. In der Redensart: Ich hab es gleich, mir liegt es auf der Zunge, hat die körperliche Bemächtigung stattgefunden, doch der Vollzug, die Transformation zum sprachlichen Territorium ist nicht erfolgt.

Das Vorstellen von irgendwas oder das Wahrnehmen irgendein Phänomens läuft in ein Bemühen um Sprache aus, um das Wahrgenommene in einen eigenen Erfahrungsbereich zu integrieren. Parallel drängeln besetzende wie umworbene Sprach-Bilder darauf, die eigenen Wahrnehmungen zu branden, also mit instrumentalisierten Produkt-Botschaften zu überschreiben, zu besetzen. Sie überschwemmen das Subjekt mit vorgestanzten Beschreibungen wie sie zugleich überbordende sprachliche Fixierungen anbieten. Die Spaltung der Worte, die symbolische Fragmentierung der Begriffe zugunsten einer angebotenen Sprachware, zeigt die möglichen sprachlichen Barrikaden bis zum konkreten Gegenstand. Der nach Worten Suchende ist zersetzt von der eintönigen Redundanz ver-sprochener Welt. Die Zersplitterung der sprachlichen Erfahrungs-Welt in den medilaen Kanälen der Sprache (Radio, TV, Zeitung, Twitter, SMS-Dienste etc.) zielt auf die sprachlich zu verortende Deformierung des nach Sprache suchenden. „Wissen wir den nicht, daß in den Randbezirken, wo das Sprechen abdankt, die Domäne der Gewalt beginnt, und daß sie dort schon herrscht, selbst ohne daß man sie provoziert?“1Jacques Lacan, in: Schriften III, Quadriga Verlag, 3. Korrigierte Auflage, 1994, Seite 185 Werden aber von vornherein die abgedankten, weil kontextualisierten – also determinierten – Sprachakte, die wissentlich herbeigeführten Sprachrudimente medial serviert, sind ohne Umschweife die animalischen Randbezirke unmittelbar angesprochen. Ganz nah an unserem Tier, besonders bei schnellen Bewegtbild-Nachrichten: „Mit der stetig verkürzten Verweildauer einer Bild-Einstellung auf den Schirmen verkürzt sich die Zeit der Betrachtung, der Wahrnehmung: und damit die Zeit symbolischer Verarbeitung. Die beschleunigt vorbeiziehenden Bild-Zeichen lassen sich nur unvollständig in den Kulturellen Prozeß der >unbegrenzten Demiose<:  im Verweis von Interpretant auf Interpretant hineinziehen. So bleiben Wahrnehmung und Verweis zumeist sehtehen bei rasch abrufbaren emotionalen, valuativen oder appellativen Bild-Inhalten: Erschreicken, Angst, Trauer, Ekel, Wut, Freude, Befriedigung, Inhalte, die dann >magisch< zugeordnet werden können entlang der Nachrichten->Achse< gut vs. Böse, Heil vs. Unheil, Ordnung vs. Chaos, Freund vs. Feind etc.“2Götz Großklaus, in: Medien-Bilder, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2004, edition suhrkamp 2319, Seite 133 Dort, wo gegen den Gebrauch menschlicher Sprache verstoßen wird, weil er in animalischer Sprache nicht eingeholt werden kann, entblößt sich der gewalt­tätige Gebrauch von Sprache.

I don’t like BILD
Der Bild-Zeitungs-Jargon erzeugt Gewalt. Er setzt an die Stelle des vernunftbegabten Durchdringens von Ereignissen nur das unmittelbare gewalttätige Eindringen in das Schreckzentrum der Leser. Zum Beispiel: Mann sprang von Brücke – tot! Der Leser kämpft gegen die schnelllebige Auflage von 1.000.000 Lesern. Die negative Sprachmacht setzt dort an, wo Sprache keinen Raum mehr zugebilligt wird, weil sie genügend behindert, zerstört worden ist. Das Medusenhaupt im Spiegel der Buchstaben heißt „Reality TV“. Eine ambivalente Begriffsbildung in der Sprache – als Sprache der symbolischen Bildung – wird nicht honoriert. Gewaltpotentiale, Krisen, Konflikte sind besser als fauler, empörter Simplifikant reproduzierbar, denn die seriöse Recherche von Ereignissen geht über den bezahlbaren Werbe-Platz der Beschreibung hinaus. Die Zeitung soll von den Junkies einfacher Wahrheiten wieder gekauft werden… „Die modernen technischen Bilder, besonders die Welt-Bilder der TV-Nachrichten, entwerfen ein immenses Zwischenreich der Zeichen und Symbole und geben ihm den Anschein des >Natürlichen< und >Wirklichen<. Sie setzen sich als >Medienrealität< und wollen uns die Inszenierung über Zeichen vergessen machen.“ Und: „Die Bild- und Abbild-Sequenzen […] konfrontieren uns wieder mit der bedrohlichen Erscheinung der Welt im Zustand der Zusammenhangslosigkeit und der Unordnung, alles im abstandslosen Nahbild der live-Übertragung.“3Götz Großklaus, in: Medien-Bilder, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2004, edition suhrkamp 2319, Seite 131 und Seite 130

 

 

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