137, sprachliche In-Sozialisation

Beschreibung setzt dem Beschreiber nah seiende Prämissen voraus. Wenn wir sprechen, realisieren wir durch Sprache die jeweilige Umgangsform gesellschaftlich vorherrschender Vorschrift: In das Vorherseiende als vorher Geschriebenes treten wir ein: Wir werden Teil aktueller Sozialisation. Wir bewegen uns in ihren Sprachraum hinein und lernen zugleich unsere Bewegung darin. Versprachlichte Handlungsweisen, einmal in Gang gesetzt, führen eine Sperre mit sich, die es erschwert, Rekurs auf sich als Individuum zu halten, und dessen Anpassung erleichtert. Das Sperrige nicht nur als eine über Jahrtausende währende Schrumpfung des Oralen zum (visuellen) Zeichen, sondern auch als Determination: Sobald wir in einen uns vorgesetzten, sprachlich fixierten Raum geworfen werden, sind wir dem Sog von öffentlicher Grammatik und ihren Formalitäten ausgesetzt. Die rationalisierte Relevanz des Handelns in Anweisungen, Vorschriften, Gesetztexten oder auch die sprachliche Verkürzung in Befehlshierarchien.1Vgl. Ernst Jünger, in: Der Arbeiter, Herrschaft und Gestalt, Cotta’s Bibliothek der Moderne, Seite 15 f schützt den Einzelnen vor seiner menschlichen Erwartung: Denn er füllt die Erwartungen der anderen mit ihren Anweisungen aus. Der einzeln Handelnde agiert, indem er im Prozess seiner In-Sozialisation mit deren formalen Übersetzungen arbeitet, ja: verhandelt. Eine Verweigerung gebotener In-Sozialisation führt in ein Leiden an ihr. Sie wird ästhetisch abstrahiert.2Hier Dilemma wie Reservoir in der Kunst verknotet: Das einzelne Leiden in seiner allgemein verstrickten Situation ist für die totalitäre Gesellschaft nicht relevant – das Kunstwerk müßte versuchen, die soziale Totalität, das, was Leiden macht, in sich aufzunehmen. Der interpretatorische Freiraum zeigt an, wie weit das Ziel verfehlt wurde. Vorbilder: Hieronymus Bosch, Pergamon Fries (Gigantomachie). Kaum möglich der Ausdruck von totalitären Prozessen der Realität in stillstehenden Abbildern. Nur das Prozessieren selbst gegen diesen Zustand der Wirklichkeit kann Ausdruck finden. Uninteressant der Prozess des Malens, kann er nicht zum Prozess des Betrachtens werden. Die Aufgabe bleibt, das Prozessieren gegen Malerei, Bildhauerei, um das ästhetische Feld den Rezipienten zu öffnen. Wahrhaftigkeit bemessen an der Veränderbarkeit des eigenen Handlungsraumes.

 

 

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