176, Essstörung und Entleerung

Entkörperungsbedürfnis signalisiert eine übermäßige Belastung durch Verkörperungsforderungen die Gier nach >jener< Erfahrung Erfahrungsverlust – >>transzendentale Meditation<<, Yoga für Fortgeschrittene, Fitneßtraining unter dem Namen >Zen< und die Askese, die sich im Nichthaftenbleiben übt, als Instrument der unbeteiligten Verfügung, darum nützlich fürs Management ebenso wie für den Davongelaufenen, der den Traum von Unabhängigkeit noch in den Untergang, sein vorgeblich >kosmisches Wir<, hinüberretten will, sind Schatten unserer eigenen hilflos-positivistischen, ebenso unlebendigen wie unpolitischen Arbeitswelt. Randphänomene spiegeln das Zentrum wider und agieren dessen Konflikte aus.“1Vgl. Klaus Heinrich, in: Vernunft und Mythos, Basel und Frankfurt am Main: Stroemfeld/ Roter Stern, 1992, Seite 88

Die Grade der körperlichen Entleerung zeigen die Intensität des Ausweichens vor befürchteter wie bloßer oberflächlicher Objektivierung (als Verkörpert-werden, Verdinglicht-werden) des Körpers an: um ihn loszuwerden. Die Angst vor Verkörpert-werden mit etwas fremden – als antizipierte Spaltung des Körpers – zwingt zur Entleerung, schlägt in die „kleinste Größe“ (Brecht) um und findet Ausdruck in ihr. Da ist ein Feldzug gegen die gesellschaftlich nur äußerlich wahrgenommene Körperpräsenz im Gang. Die Körperlichkeit als Folie, Lebensmetapher sozialen Wahrgenommenseins wird ganz und gar körperlich angenommen und gegen den Körper umgesetzt, um die mediale Schranke des Körpers zu überwinden: als nur in der Abbildung existierender Körper. Die etablierte Fokussierung auf die Körper wird jedoch ex negativo wieder eingeholt. Man bleibt in der definierten Körperausstattung hängen, denn man lebt sich zu Tode. Essstörungen bilden die Vergesellschaftung des Körpers wider und zeigen die Überantwortung sozialer Widersprüche auf die einzelnen Körper an.
Die gesellschaftliche Fokussierung auf den äußerlichen Körper wird – in der Abwehr dieser Fokussierung – auf die körperlichen Vorgänge gelenkt und auf diese reduziert. Es findet eine Objektumkehr statt. Das sich verweigernde „gesellschaftliche Objekt“ nimmt Platz im eigenen Körper: Er verweigert sich gegen sich ihn stellvertretende Objekte. Das sich diesem Stigma verweigernde Subjekt versucht sich der erlittenen Definition seines Körpers zu entziehen, indem es sie anwendet. Hunger-haben heißt hier, im Hunger sein. Man agiert nicht mehr, um dauerhaft für seinen Körper bereit zu sein, d.h. um gegen ihn gewappnet zu sein. Die Durchsetzung der Körperkontrolle gegen die biologischen Bedürfnisse wendet sich gegen äußerliche Ansprüche an den eigenen Körper um überhaupt irgendwie agieren zu können. Die bloße Potenz zum aktiven Leben ist wichtiger, existentieller, als die mögliche Verstrickung in ihm. Ein sofortiges Beginnen scheint damit gewährt, dass das Subjekt sich jederzeit die Wahl geben kann, zu handeln. Es ist ein zerstörerischer Modus, sich rein zu halten (ohne dass man sich noch heraushalten müsste). Z. B. nicht zu essen, malen, zu lesen etc., um den Wunsch danach selbstbestimmt entwickeln zu können.
Die Angst vor Verkörperung – spricht sie nicht das Wissen um die eigene ahnungslose Körperlichkeit aus? Die Ohnmacht vor unseren zuckenden Hirnen? Das, was uns zum Menschen-Körper, aus 4 Eimern Wasser, 2 Pfund Salz und doch irgendwie zuckenden Nerven macht, lässt uns vor diesem Körper schauern. In den Körpern wird ihre Angst vor uns, wie die unsere vor ihnen in sie hineingeschrieben. Die Angst „vor dem Körper“ spricht aus, was mit seinem Leib tatsächlich (physiologisch) geschieht: Er wird verbraucht! In allen angedrohten wie vollzogenen Verkörperungen taucht dieser Verbrauch wieder auf.

 

 

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