174, Distanz und Differenz, das Fremde und das Eigene
Analogische Abwertung
Es herrscht Chamäleonarbeit vor, permanent dem Fremden, noch nicht Gesichteten sich anzuverwandeln, um dem Unbekannten im Wolfsbiss des Vergleichens beizukommen. „Das in die >>große Befreiung<< brüderlich hereingenommene, unter der Verkörperung mitleidende Anderssein“1Klaus Heinrich, in: Vernunft und Mythos, Stroemfeld/ Roter Stern, Basel, Frankfurt am Main, 1992, Seite 62 findet hier keinen Platz, Ausdruck, denn es entspricht nicht dem sich nach Außen hin abdichtenden Interesse. In nichts mit niemandem unterliegen, weil mit nichts verkörpert, emphatisiert nur mit sich selbst, heißt der Schlachtruf aus dem Schneckenhäuschen des bürgerlichen Solipsismus. Ein Flüstern und Schreien von Leuten, die sich von Welt bedrängt erachten. Es gilt die Hoffnung, das Vertrauen, die Erwartung, die menschliche Bewegung des Zweifelns abzuschaffen, sich nicht auf emphatische Zustände einzulassen, um vor dem Fortgerissenwerden gefeit zu sein. Wenn die Nerven an den Dämmen der Körper-Psyche kneten, steht das Ich still oder wird geflutet. Es wird zerrissen und seine humane Natur wird in seine animalische geworfen. Eine mühsam zu erreichende Formlosigkeit.2vgl. Klaus Heinrich, in: Vernunft und Mythos, Stroemfeld/ Roter Stern, Basel, Frankfurt am Main, 1992, Seite 61 Dass die Andersartigkeit der Anderen die eigene ermöglicht bleibt verborgen, sondern wird als Bedrohung gedeutet.
Zwischenmedien: Gleichnisse
Fabelhaft wird im analogischen Sprachapparat die Nähe der unterschiedlichsten Phänomene, Dinge zu anderen hergestellt und erträglich gestaltet: heruntergedimmt. Gleichnisse entlarven nicht nur das gleich Gestellte als schon irgendwie Bekanntes, sie verdecken damit auch das Gleich- oder Annäherndgemachtsein der Dinge: die Dinge sind als gleich-gemachte kaum als andere mehr zu erkennen. Die medialen Einfühlungen der herrschenden Beschreibungsweisen in ihre Beschreibungsstoffe gehen nicht spurlos am Leser, Hörer vorbei: In der entwickelsten Form solcher Beschreibungs-Nachrichten-Einfühlung-Kultur, steht der Beschriebene, der Leser, der Betroffene sich als sein maskierter, als sein vom wirklichen Leben entfernter Stoff gegenüber. Man könnte nun selbst derjenige hinter der TV-Mattscheibe sein. So besonders und beliebig austauschbar ebenso – wie die angestarrten humanoiden Produkt-Zombies.
Nachahmung und Einfühlung
Hier ist Brechts Kritik3vgl. Bertolt Brecht, in: Arbeitsjournal, Aufbau Verlag, Seiten 92, 105, 125, 368 u.a. vor allem seine Position gegen die Einfühlung an Aristoteles‘ Poetik in Bezug auf analogische Verfahren zu verstehen. Denn Nachahmung als eine Form der Anverwandlung, erlaubt weniger eine Distanzierung (Objektentwicklung) vom Geschehen und sei daher – laut Brecht – als Erkenntnismodus ungeeignet. Im Gegensatz dazu sagt Aristoteles: „Denn sowohl das Nachahmen selbst ist den Menschen angeboren – es zeigt sich von Kindheit an, und der Mensch unterscheidet sich dadurch von den übrigen Lebewesen, daß er in besonderem Maße zur Nachahmung befähigt ist und seine ersten Kenntnisse durch Nachahmung erwirbt – als auch die Freude, die jedermann an Nachahmungen hat.“4Aristoteles, in: POETIK, Philipp Reclam Jun. Stuttgart, Seite 11
Das Andere mir im Nachahmen anzugleichen – das Abbilden, Abformen als Handwerk (in der Kunst) zur Herstellung analogischer, d. h. vergleichbarer Formen mündet wieder in ein Gegenüber. Als die Verstofflichung des Negativen kann das Vor-Bild in ein Positives gebannt in der Abbildung werden, wieder Distanz ermöglichend. So gefasst, erlauben die fotografischen Ablichtungen aber die Distanz vor dem Dickicht der Einfühlung, Distanz gegen Emotionen, um kalte Erkenntnis über den Gegenstand abzuleiten, d. h. ihn logifizierend einordnen zu können.5siehe Brecht, in: Arbeitsjournal, Aufbau Verlag, Seite 92, 93 Das Programm heißt: erzeuge permanente Angleichung, um in den Erfahrungsstoff der Geschichte, in den Feind, die Wirklichkeit hinein zu kommen: oder Differenz, um aus ihr heraus zu kommen. Vielleicht müssen wir weniger das Resultat als vielmehr den Prozess des Nachbildens honorieren, den Vorgang in den Produzenten legen. Der von Brecht geforderte Abstand ist bei Aristoteles prozessuale Voraussetzung, um sich die Dinge, gesellschaftlichen Phänomene zu erschließen.
Nachahmen als Externalisierung
„Denn von den Dingen, die wir in der Wirklichkeit nur ungern erblicken, sehen wir mit Freude möglichst getreue Abbildungen, z. B. Darstellungen von äußerst unansehnlichen Tieren und von Leichen.“6Aristoteles, in: POETIK, Philipp Reclam Jun. Stuttgart, Seite 11
Es liegt nahe, dass die Herstellung von Abstand, von Entfernung (bloßes Nachahmen, Abbilden, Be-schriften usw.), den ersten Versuch darstellt, sich dem Schrecken wohlmöglicher Realität zu nähern: über ein Objekt, eine Form. Jede weitere Verfremdung muß hin zum Objekt problematisierter Realität (das Andere, das Fremde), ins Chockzentrum der Erkenntnis (Benjamin) führen. In der Verlebendigung, d. h. in der Anverwandlung (Angleichung?) an das Tote, Objekthafte, an das Unansehnliche, besteht die Leistung realer performativer Akte: Eine Hochzeit von Angleichung/ Nachahmung und Empathie. Notwendig scheint, diesen ersten Vorhang der Distanz/ Differenz runter zu reißen, über den ersten Versuch der Abwehr hinaus zu gehen: den Zusammenhang von Anästhesierung (als Abwehr vor dem schmerzhaften Lernprozeß?) und Ästhetisierung (Formierung des Lernergebnisses) als menschliche Transformierung aufzudecken, um zu überwinden, was zur Maske, zum Schild gefror.
Aus einem anderen Blickwinkel kann Nachahmung als Übungsprozess der Beobachtung gedeutet werden. Als vorrangige Möglichkeit, eine 2. Ordnung der Beobachtung herzustellen. Das objekthafte oder körperliche Nachahmen des beobachteten Gegenstands ist ein Transfer der Beobachtung in Material, der Blicke in körperliche Objekte (die Zeichnung, das Foto, die Skulptur, das Schreiben). So gesehen, wird die transferierte nun vergegenständlichte Beobachtung in eine der Beobachtung gemäßeren Darstellung überführt und manifestiert damit den Prozess des Beobachtens selber: im (abgebildeten) Objekt. Die Mimesis fließt in das Material aus. Aus Sehen wird Gemachtes.
Kunstwerke, die sich qualitativ aus dem Moment gehuldigter Nachahmung ableiten, stellen nicht dar, was sie aus der Welt rausgeholt haben, sondern kennzeichnen vielmehr, was der Autor in die Welt als ihre Ähnlichkeit hinein gearbeitet hat.