180, Zahlen zählen herrschen
Stumm gedichtet, vom Unvermögen zugeschmiert, zugemalt.
Gezähltes fungiert prähistorisch, die Katastrophen erscheinen in den Zahlenreihen. Das Leid ist ins stumpfe taube Reich der zwingenden Zahlen geworfen und dorthin abgeleitet. Der Zwang zum ertragenden Leben ist beseitigt, der Tod eingetreten – die Elemente und Maßeinheiten sind in den Zahlen wieder frei. Das Sterben nimmt den ersten wie letzten Moment der bürgerlichen Individualität auf sich – den gezahlten Tod.
Die Zahlen verkörpern die Zerreißung der Welt mit sich: aufgezottelt in zu viele Teile. Die Angst vor dem Tod und ihre Abwehr vor ihm wird an Zahlen, Abzählmechanismen delegiert. Statistische Wahrscheinlichkeiten zu Überleben, geben noch genügend Spielraum. Natürlich deutet das Zählen ebenso darauf hin, das mittels der Zahlen Beherrschung über das der Zählung unterworfene Gezählte angestrebt werden soll. Als erster Akt das Indifferente, das Unreine zu bezwingen.1„Gespräch über den Alltagskampf// Mit zwanzig hätte ich gern Mathematik studiert und / Sternenkunde / In den Zahlen waschen wir das Unreine / Aus Geschehen und Körpern. Selbst das Zufällige, das / Uns so quält in den Kämpfen, erscheint / In den Wahrscheinlichkeitskalkulationen / Der Mathematik gebändigt. Die großen / Bewegungen der Gestirne gestatten / Gute Voraussagen. Auch da / Sind die Kugeln im Weltraum nicht völlig rund, die / Kurven / Nicht ganz stetig, aber beobachtet über Sternjahre / Und Weltraumentfernungen befriedigen sie / Den ordnenden Geist. (…).“ Bertolt Brecht in: Rosa Luxemburg (Stückprojekt), in Gedichte, Band IX, Aufbau Verlag, Seite 102 Der Zähl-Akt gewährt die Distanz zu dem, was gezählt, was unter der Zahl eintrifft, betroffen, verborgen und gelöscht wird. Hier wird Objektivität produziert, indem die noch indifferente Realität auf Zählbares zugerichtet wird, der ungewisse Gegenstand in ein bloßes Objekt der Zählbarkeit verwandelt wird. Das zahlenmäßig Bezeichnete wird nun ein Anhängsel des Beschreibungsterrors. Die Einsetzung der Zahlen für die Beschreibbarkeit von Gegenständen, negiert, verdinglicht, absorbiert eben diese von ihrem emphatisch komplexen Geschehen. Bei so viel nicht angenommener, apperzipierter – in Zahlen abgestellter – Erfahrung verbürgt doch jede Ziffer das Verdrängte oder Nicht-Begreifbare und wiederholt es bis es wiederum durch das Weiterzählen als überwunden gilt. Das Weiterzählen bedeutet eine Vergewisserung der Methode des Abzählens, bedeutet Sicherheit durch Wiederholung. Das Zählen ist Funktionale wie Funktion des Ein-Teilens, des Herrschens. Der Vergewisserungsmechanismus ist ohne den Bemächtigungsmechanismus nicht zu denken.2zum Thema des Zählens, Abzählens im Bezug auf die Geschichte der Verdrängung vgl. Klaus Heinrich, in: Dahlemer Vorlesungen, Band 3, Arbeiten mit Ödipus, Seite 53 ff (2. Und 3. Vorlesung)
Die Zahlengesänge bewirken in der mit Zahlen gekleideten Analogiemaschine Statistik auch eine Einschüchterung der (Selbst-) Erkenntnis. An die Zahlen kann ich mich halten, denn ihre Bedeutung obliegt mir nicht. Die Selbsterkenntnis wird durch die an sich selbst verübte (vorgenommene) Statistik des Zählens verengt. In der Aufzählbarkeit wird das einzelne, individuelle Schicksal nummerisch verkleinert und versteckt. „Ca. 600.000 Tote.“