39, Identität, external

Identität: oft verklärend beschrieben als Merkmal von kulturell geprägter Persönlichkeit, abgrenzend zu anderen sogenannten kulturellen „Prägungen“ – scheint im Kampf um Abgrenzungsnischen institutionell eingeübten Repräsentationsstrukturen zu folgen. Ist „Identität“ nicht eine Maske, dünn oder dick geschminkt, des im sozialen Umfeld und Berufsleben jahrzehntelang geprägten Kontinuums von Anpassung, Zwang und Einverständnis, das sich gleichgesetzt fühlt mit dem Verständnis von familiären Abläufen oder betrieblichen Prämissen? Das eigene Leben mit dem sozialen Umfeld synchronisiert zu haben, sich damit zu identifizieren, ist das persönliche Identität?  Diese mit Anpassungsdruck aufrechterhaltene Kontinuität des Einverständnisses zum Beruf, zur funktionalen sozialen Struktur ist darauf aus, den von der Umwelt gestellten Bedingungen zu folgen, d. h. mit den Bedingungen der Verhältnisse – als Forderung gegen die sie befolgende Person – identisch zu werden. Diese identifikatorische Verschmelzung ist leichter, angenehmer zu realisieren als den Widerspruch zur funktioneller Identität anzuerkennen und auszuhalten.


Amelia Horgan, in: Süddeutsche Zeitung, Nr. 113, 17. Mai 2022, Seite 11

Der angenommene Job, das geschulte Sich-zu-Markte-tragen, als der übliche, lebenserhaltende Sinn bürgerlicher Berufe kulminiert zur pragmatischen Über-Ich-Institution einzuhaltender Realitäts– bzw. Repräsentationsbezeugung, die sich als instrumentalisierte Biografie eines im Produktionsprozeß zu Affirmation geschliffenen Menschen fassen lässt. Persönliche Identität als Depersonalisierung, als Abbau von Persönlichkeit, findet innerhalb technokratisch administrierter Strukturen, dem sogenannten sozialen Umfeld statt. Diese vor allem im Beruf erarbeiteten Bewegungs-, Entwicklungs- und Erfahrungsstrukturen setzen sich im Rhythmus der zu leistenden Arbeit als Identität fest: als Beruf, als gewohnte, aufgewöhnte soziale Konstruktion.
Wenn Wirklichkeit eine soziale Konstruktion ist, ist Identität auch eine.
Festgesetzt in einer formal überschaubaren wie formal abgesicherten (Arbeits-) Struktur, bietet diese zugleich Sicherheit – durch erwartbare Ereignisse – für den eigenen Handlungsraum wie Repräsentationsraum und gewährleistet damit eine Koordination innerhalb der eingenommenen, ertragenen Unbeweglichkeit, Fixierung. Für einen Job, eine Lebensidee. Diese Identität meint das Identischsein mit einer auszufüllenden Funktion, die mehr oder weniger alle – unpersönlich – betrifft. Solche Identität anonymisiert die Person durch identitäre Repräsentationsmacht, in der sie gefangen ist. Der mit seinen Anpassungsleistungen identisch gemachte, gewordene Mensch, ist mit den ihm gegenüberliegenden Apparaturen, Methoden aufgefüllt und verknüpft. Er unterliegt ihnen. In der zu vollziehenden Versachlichung (als Anonymisierung in produktionstechnischen Prozessen) wird schwerlich was zu finden sein, was ein persönliches Moment inmitten der Paketverteilung oder am Bankschalter darstellt, wenn das Ich-Gesicht durch Betriebsanweisungen ausgelöscht wurde. Wie ist die Suche nach menschlicher Identität im produktionsimmanenten Umfeld zu definieren? Dort, wo zwischen den Abläufen die funktionelle Person in Arbeitsbereiche geschnitten werden muß (Stichwort: Arbeitsteilung), um angewiesene Arbeits-Schnittstellen zu bedienen, werden Anschlüsse für die Produktion (und ihre Derivate, wie Ideen, Ideologien und Waren) erzeugt. Es wird eine Repräsentation von Identität erzeugt, die als (kulturelle, sexuelle, ethnische usw.) Divergenz von verschiedenen Marktsegmenten angesprochen wird.

Gayatri Chakravorty Spivak: „Ich glaube nicht, dass Handlungsfähigkeit notwendigerweise aus Identitätsansprüchen folgt. Wie ich […] aufgezeigt habe, stellen Identitätsansprüche politische Manipulationen von Leuten dar, die eine bestimmte Eigenschaft miteinander teilen; sie bilden also eine Art appellatives Konszept, das dazu aufruft, eine bestimmte Rolle einzunehmen.“1Gayatri Chakravorty Spivak, in: Can the Subaltern Speak?, Postkolonialität und subalterne Artikulation, Verlag Turia + Kant Wien, 2008, Seite 130