173, Psychosomatik: Zwischen Kreis und Oval
Ist der auf die Regelung des Lebens getrimmte Nervenkörper geschwächt genug, suchen dessen verwalteten und unterdrückten Organe eine Öffnung. Aus ihnen bricht Gestautes, Gequältes sich Bahn: psychische Keime. Die Psyche hat das Begreifen und ihren Körper nicht mehr im Griff. Sie kann sich nicht mehr selbst verarzten. Ihr körperlicher Eingriff ist ein brachialer Code geworden und kann nicht ent-scheiden: richtig und falsch, gut und schlecht (böse), Kreis oder Oval, verantwortlich und nicht verantwortlich oder zwischen Verantwortung und Schuld. Denn es gehört zusammen, was hier geschieden sein soll. Sich gesund offen haltend für die einströmenden Phänomene hieße, sowohl in der Scheide zu bleiben als auch nicht gezwungen zu sein, ausgeschieden zu werden. Zwischen einem Kreis und einem Oval kann man sich entscheiden. Aber wenn man nicht mehr weiß, ob es ein Kreis oder Oval ist und trotzdem zu entscheiden genötigt ist? In einer schizophrenen Endlosschleife wandelt sich der Kreis in das Oval und zurück. Wenn Begreifen durch den Code-Griff gesprengt wird, wandelt sich das Individuum in einen sich pathologisch niederschlagenden Prozess. Die Bewegung des Subjekts – Hegelianisch gesprochen – mündet in eine Kommunikation des Subjekts mit sich selbst, in der es die Code-Regeln seiner Selbstbeschreibung permanent neu modifiziert. Dadurch bleibt es im Regelwerk hängen, statt sich um das Ge-Regelte zu kümmern. Es geht sich damit selbst verloren und wird – je nach Beschreibungs-Code – immer anders; es kann sich nicht mehr festhalten. Diese kommunikative Selbstbetrachtung hat kein Ende, führt zu nichts und frisst sich selber auf, weil jede neue Erkenntnis, Wahrnehmung auf eine falsche Modifikation der Regeln zurückführt, anstatt zur Akzeptanz. Das Verlassen des selbst auferlegten Kanons kontrollierbarer Regeln käme einer Selbstaufgabe, identitären Krise gleich. Eine Art unendliches Selbstgespräch, eine Beobachtung eigener Beobachtung bleibt am Laufen – mit anderen Worten: Introsprektion findet statt.1Eva Illouz holt in ihrem Buch „Gefühle in Zeiten des Kapitalismus“ (stw 1857, Suhrkamp Verlag 2007, Seite 34, 35) etwas weiter aus. Sie beschreibt darin eine Methode, die in der von ihr zitierten Ratgeberliteratur vorgestellt wird: Wie sich Manager – also alle, die ihr Leben managen – entsprechend ihrem „Persönlichkeits-Profil“ anzupassen hätten – das sie vorher finden sollten, um besser auf die Kunden (Außenwelt) reagieren zu können. „Folgt man der Populärpsychologie und ihrem Imperativ der Kommunikation, dann ist die erste Pflicht eines guten Managers, sich selbst >objektiv< zu evaluieren, um so zu verstehen, wie andere einen sehen, was wiederum eine ziemliche komplexe Form der Introspektion verlangt. Unzählige Ratgeber für >>erfolgreiche<< Führungskräfte empfehlen eine Art Meadschen Umgang mit sich, was darauf hinausläuft, das eigene Selbstbild mit dem Bild zu vergleichen, das andere von einem haben. Um nur einen Ratgeber zu zitieren: >>Ohne den Trainingskurs im Management [ein Kommunikationsworkshop] wäre Mike mit seiner Karriere vermutlich nicht vorangekommen. Nicht, weil ihm die Fähigkeit abgegangen ist, sondern weil er nicht verstanden hat, daß er anderen einen falschen Eindruck von sich vermittelt.<< (David Fontana, Social Skills at Work, Leicester 1990, Seite 23) Die Ratgeberliteratur für erfolgreiches Management macht Erfolg von der Fähigkeit abhängig, sich selbst gleichsam von außen zu sehen, um auf diese Weise die eigene Wirkung auf andere zu kontrollieren.“ Der betroffene Mensch kann sich ästhetisch, sprachlich begleiten, kaum kann er die stete Differenzbildung seiner Anpassungen durch sich selbst fädeln. Vielleicht kollabiert er, weil er als psychisches System nicht im Stande ist, Informationen von draußen zu verarbeiten, zu integrieren oder zu differenzieren – was ein Entscheiden-Können voraussetzt. Doch vorerst setzt Symptombildung ein. Im geschwächten Psycho-Körper individualisieren sich ehemals beherrschte Denk-Arten, Fühl-Organe in psychologische Prozesse, d. h. in (somatisches) Abwehrverhalten: Psychosomatische Ausfälle. Die physische Umsetzung der psychischen Einengung setzt die psychoanalytische Bedingung wie ihren anamnetischen Stoffwechsel in Gang: dass die Begriffe, Symptome und die von ihnen bezeichneten Gegenstände, Wirkungen, Prozesse, Phänomene durch „falsche“ sprachliche und oder symbolische Besetzungen verbunden werden.