136, Krankheit & Angriff, gehen mit Adorno

Die Beobachtung verändert nicht nur das Beobachtete, sondern das Beobachtete verändert auch die Beobachtung. Wenn eine isolierte Welt durch Verrückte und oder von ihnen das Verrückt-Sein definiert wird, wie will man da deutliche Grenzen zur Gewöhnlichkeit ziehen? Sind wir verrückt, weil wir hier sind oder sind wir hier, weil wir verrückt sind? Wenn das Problem und dessen Behandlung exterritorialisiert wird, in Gebäude, Verhausungen gesteckt, werden die Patienten und die Behandelnden in gegenseitiger Abhängigkeit isoliert. Die psychotischen Prozesse der Patienten gehen auf die Behandlungs-Strukturen über, wie auch Behandlungs-Herrschaft gegen über den Patienten Institutionell verstetigt wird. Im Krankenhaus, in der Schule, in der Klapse verwischen die funktionalen Abgrenzungen zwischen Behandelnden und Behandelten, Bediensteten und Bedienten.
Der in der psychotischen Entwicklung stehende Patient wird auf seine „falsche“, abweichende Bewegung festgelegt und damit wird sie verstärkt, was wiederum neue Interventionen gegen diese nötig macht. In dieser Verstärker-Position muss der Patient mehr leiden, aber er zeigt auch mehr. Die vom systemischen Außen angetriebenen Zerstörungen, Spaltungen, Aufgabenverteilungen des Ichs – das Ich im Gespann mit seinem nur für sich daseienden Körpers, mit seiner verrückten Innerei – werden über die psychotischen Wahrnehmungen wieder ins Außen getrieben:

Der Verrückte spiegelt die Welt, dass sie verrückt ist und du Subjekt bist ein Darm, der Schreie abortiert, bunte schwarze Annexe. Wer was? Treibenlassen und Triebhaftigkeit? Die Projektile der Tatwaffen kehren durch ihre Treffer ins Magazin zurück. Was für eine Chance, ins Magazin zu flüchten und Munition zu werden: vor dem Schuß. Das Ziel durchlöchert den Angreifer.
Wir sind voller Granaten. Attentäter wie Zielgruppe.

Die Eiszeit der ideologischen Theorien soll von den Bedürfnissen der empirischen Menschen zum Schmelzen gebracht werden; vom Disenz zwischen den dem Leben vorenthaltenen Theorien und der Untauglichkeit des Lebens gegenüber den Theorien. Der Sinn für den Wahn des Einzelnen entfaltet ein Gespür für Verallgemeinerungen, analogischen Vereinfachungen und Theoriebildungen.1Vgl. c‘ t, Zeitschrift für Computer und Technik, Heft 13, 2003 (?),Interview mit Pat Galsinger, hier Seite 31: „Only the paranoid survive.“ In allem und jedem könnte sich Gott oder irgendein Objekt der Wahnvorstellung verbergen – von hier an bürgt ein jedes für alles: für den Wahn. Der Wahnsinn am Einzelnen macht dessen Gespür für Theoriebildung und dessen eigene Theoriebildung (Projektionen als Fluchtwege!) zum Ort allgemeiner Erfahrung. Zugänglich in Anstalten und den Künsten. Erst die gesellschaftlich geduldete Betätigung des jeweiligen Krankseins aus der betroffenen Person heraus, eröffnet ihr den Abstand, die Beobachtung zu den Symptomen, Wirkungen und den Eingang zu gesellschaftlicher Sprache, zum gesellschaftlich verbürgten Sprechen.
Die durch Herrschaft, Unterdrückung angerichtete Zerstörung der Selbste, ist an den Institutionen zur Bekämpfung des Wahnsinns zu erkennen. Der Patient tritt in der Fall-Beschreibung verabreichter Torturen oder in der ihn Be-eindruckenden, umzwängenden Mauern in Erscheinung. – Exemplarisch in Bauplänen für Anstalten, Kasernen, Schulen. Aus den Deformierungen und mit den zu medizinischer Relevanz gereiften Symptomen am Behandelten, wird ein Induktionseisen geschmiedet, das durch seine Freilegung/ Sprengung den Zugang zum allgemeinen Wissen schafft und erzwingt.2„Da es aber für den Wahnsinn keine Gewißheit gibt, nicht Wahnsinnig zu sein, gibt es eine allgemeinere als alle anderen Arten des Wahnsinns, den, der dort haust, wo auch der hartnäckigste Wahnsinn aller Weisheiten ansässig ist.“ Und weiter oben: …“Wo jeder Punkt fehlt, kann der Wahnsinn ebenso gut Vernunft und das Bewußtsein vom Wahnsinn heimliche Gegenwart, Kriegslist des Wahnsinns selbst sein. (…) Ein kritisches Bewußtsein, das vorgibt, die Strenge so weit zu treiben, bis es radikale Kritik an sich selbst wird und sich in einen zweifelhaften Kampf im Absoluten wagt, das sich aber von vornherein heimlich bewahrt, indem es sich allein durch das Eingehen des Risikos als Vernunft erkennt.“ Michel Foucault, in: Wahnsinn und Gesellschaft, stw 39, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main: 1996, Seite 158 und 159 Der Behandelte wird aus seinem individuell angelasteten Krank -und Dasein erlöst, aus seiner Monade gezerrt und in die Robinsonade der Medikamente geschoben. Die Realität der Behandlung ist durch den Behandelten nicht verifizierbar.
Individuelle Lebensplanung ist ein Fehler im Management, ist mangelhaftes Marketing. Wir wissen doch: Lebenserhalt ist Lebensübel und Biografien sind Zaubereien. Die private Bewerbungsbiografie konstruiert sich nicht nach dem, wo sie herkommt, sondern für das, wohin sie will. Die dem einzelnen Menschen auferlegte Täuschung über sein ehemals vorgestelltes Leben in der Gesellschaft zwingt zur Selbsttäuschung, führt in den Markt des profitabel ausbeutbaren Selbstgenusses durch Selbstbetrug.3Oder wie Kippenberger es in einem Bildtitel gesagt hat: „Selbstjustiz durch Fehleinkäufe“ Von der Angst beherrscht, dass der Körper in Außenwelt verwandelt wird, die Außenwelt den Körper ihr gemäß formiert – normativ formt, setzt Methoden der Leugnung dieser Anektierung in Gang. Die Panzerungen sind soziopathisch modelliert. Ohne Selbstaufgabe nicht erreichbar.4Vgl. Teresa Pfützner, in: „Satan Lebenslauf“, Der Freitag, Nr. 26, 25. Juni 2009 Die Rückverwandlungen zum geschützten Selbst, in die monadische Trutzburg – das Weichen vor dem operativen Lebenszusammenhang (das vom letzten Jahrhundert noch philosophisch angeschlagene Selbst-Bewußt-Sein ist der poröse Begriff dafür) mit seinem Konsum-Schein auf glänzendem Schild – werden langwieriger, weil die Anstrengungen für die Täuschungen bzw. die Täuschungsmanöver auch größer werden und desto mehr Spiegel wie Schildfläche vor dem janusköpfigen Haupt kapitaler Vernutzung, -rottung, -schwendung erzwingen. Woher das Licht für so viel Blenden? In Hamlets Dunkelkammer.

Die Schwierigkeit zwischen Schutz, Vorstellung und Gefahr zu unterscheiden – im Beißkrampf an der Beute.
Der in diesem Kampf verwickelte, der Schild wie Spiegel-Tragende arbeitet an seiner Entwirklichung mit. Die Theorie zur Sublimierung von Triebenergie wird der Unterhaltungsliteratur zugänglich.
Es gibt nur Pfade, doch kaum Aussicht. Die größte Realität bleibt der eigene Körper. Je mehr es zur Angleichung der jeweiligen Erfahrungen kommt – wie die konsenssmächtige Produktion von uniformen Biografien, desto beliebiger werden ebenso sinnentleerte Individualisten. Die Handschrift der Massenproduktion heißt: Die individuelle Erfahrung des Selbst zerstören!

 

 

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