4, Lebensform

In THESAURUS JOURNAL wird die Frage gestellt, ob künstlerisches Talent ein notwendiges Motiv für das künstlerisch bestimmte Leben darstellt, oder das Interesse am selbstbestimmten, eigenmächtigen Urteil über die Bedingungen eigener Möglichkeiten ausreicht. Im System der Kunst/ in der künstlerischen Betätigung ist eine derartig selbstreferentielle Poesie der Beschreibung des Lebens oder Sterbens möglich. Das weitestge­hende ästhetische Spiel mit dieser Über-Zeugung führt zur notwendigen Beschäftigung mit ästhetisch motiviertem Handeln: Kunst als Lebensentwurf.1Wie weit muß das Individuum gesellschaftlich de-formiert sein/ werden, um Bilder zu machen, um sich der Kunst zuzuwenden, damit künstlerisches Agieren (wieder) Teil der eigenen Lebensproduktion wird? Holger Schulze hat sich in seinem Buch: „Künstler Produzententheorie“ damit beschäftigt.Die Kunst als transformatorisches Modell zur Aneignung und Produktion des Lebens – wenn man es begehrt.2Carl Hegemann, in: Plädoyer für die unglückliche Liebe – Texte über Paradoxien des Theaters 1980 – 2005, Hrsg. Sandra Umathum, Verlag Theater der Zeit, 2. Auflage 2010, Seite 71„Lebensformen sind Formen, die Leben formen.“3Carl Hegemann, in: Plädoyer für die unglückliche Liebe – Texte über Paradoxien des Theaters 1980 – 2005, Hrsg. Sandra Umathum, Verlag Theater der Zeit, 2. Auflage 2010, Seite 60
Die zeitgenössischen künstlerischen Arbeitsansätze wie kunsthistorischen Kontextproduktionen bilden zunehmend diese sozialen, ökonomischen Interessen­konflikte ab. Die Beziehungen zwischen sozialer Umwelt − Mensch − Kunst, die als funktionale Systeme den jeweiligen Kontext etablierter Kommunikation ausfüllen oder re-produzieren, auf die das Individuum zugreift, eröffnet zugleich den beschränkten/ autonomen therapeutischen Raum für sein ästhetisches Handeln. Das reale Leben kann als Form von ihm gleichsam abgezogen werden, als ästhetisch bestimmte 2. Ordnung formal be- und verhandelt werden: Als Künstler ist man den kontextuellen Bedingungen künstlerischer Produktion unterworfen und zugleich Akteur. Man beobachtet sich in diesem prozessualen Oszilation selbst. Nur „Im Leben Platz zu nehmen“, wäre zu wenig, grausam beschränkend und böte kaum Bedingungen für Möglichkeiten, aus denen man wählen kann. In ästhetisierten Lebens-Formen kann man sich ausleben, probieren und verwerfen, Kriege beklagen, sie gegen sich selbst führen, denn man ist nicht dort und muß auch nicht hingehen. Da ist die immanente Paradoxie künstlerischer Produktion, als Aufspreizung von künstlerischer Existenz (das Kunstwerk als formale Synthese des subjektiven Nadelöhrs) in der Schere von Öffentlichkeit und Partizipation (als Teilnahme des Publikums am utopischen Restbild der eigenen künstlerischen Existenz) noch gar nicht erwähnt. Die Darstellung ästhetischer Form geht in die Demonstration gegen die ästhetische Form über.4Hier ein Hinweis zu Peter Bürgers Buch: Theorie der Avantgarde, Suhrkamp Verlag, – in dem zahlreiche Manifeste und künstlerischen Programme diskutiert werden.Die Auffassung des Lebens, das Motiv des ästhetisch sich behauptenden Lebensentwurfes ist für die künstlerische Arbeit die intentionale Basis. Das Ringen um merkantilen Erfolg findet auf einer anderen Systemebene statt.5vgl. Niklas Luhmann, in: Aufsätze zur Kunst, Einleitung, Suhrkamp, LVWenn Ästhetik nicht von ethischen Überlegungen grundiert ist, macht die Künstlerexistenz als Vor-leben einer Revolution, eines noch nicht von sich befreiten Individuums keinen Sinn. Denn Sinnlichkeit ist Rücksicht.
„Wenn Intimes zum Ausdruck kommt, dann sucht es dort nicht sein >>angestammtes Refugium<<: Im Gegenteil, es sucht nur nach einer >>offenen Form<<, die in der Lage ist, die Grenzen zwischen dem Privaten und der Geschichte, zwischen der Fiktion und dem Dokument, der Literatur und dem Rest zu sprengen. Wenn es eine >>Selbstgenese<< in der Arbeit gibt, dann sucht sie nur deshalb >>ins Inerste des Individuums hinabzusteigen<<, …, >>um es zunächst von sich selbst zu lösen und mit Hilfe des Kollektivsten, Universellsten und Unpersönlichsten, das es gibt, nämlich der Sprache, mit sich selbst in Beziehung zu setzen.“6Georges-Didi Huberman (im Verweis auf mehrere Autoren) in: Wenn die Bilder Position beziehen, Fink Verlag, Seite 31, LV
Peter Bürger hat es so formuliert: „Die Entdeckung [, die Rousseau macht…] besteht in dem Widerspruch, daß das moderne Ich sich als Projekt entwirft und doch zugleich das eigene Dasein durch seine unveränderliche Eigenart, und d. h. schicksalhaft begrenzt weiß. Daß es mithin sich letztlich nur als den entwerfen kann, der es immer schon ist. Die Formel ist kein leeres Paradox, vilemehr hält sie eine in sich widersprüchliche Selbsterfahrung fest. Das aus der Aufklärung hervorgegangene Ich will das Resultat seines eigenen Tuns sein, stößt aber auf etwas, was sich der Formung entzieht: ein tief sitzendes Erlebnisschema, Gefühlsdispositionen, schließlich die Grenzenlosigkeit des Begehrens. Das Aufeinandertreffen von Begehren und Selbstgestaltungswillen bringt nicht nur eine endlose Folge von Konflikten hervor, es führt auch dazu, daß das Ich sich in keinem Augenblick >>hat<<. Das autobiographische Schreiben stellt den Versuch dar, die eigene Identität endlich auszusprechen. Daß es damit nicht aufhören kann, zeigt an, daß das >>wahre Ich<< dem Schreibenden entgleitet.“7Peter Bürger, in: Das Verschwinden des Subjekts, stw 1512, Seite 116