192, Entfremdung im Auto
„Die Autos und ihre Straßen erzeugen erst Entfernzungen, zu deren Überwindung sie dann eingesetzt werden.“1Artikel Michael Mönninger, in: „Die Selbstblockade des Stadtverkehrs“, Berliner Zeitung, Nummer 79, 5./6. April 1997
Die Entfremdung wird bei Marx als der Zustand beschrieben, der die Erzeuger/ Produzenten von Waren schmerzlich von dem möglichen Erwerb eben dieser Waren abschneidet. Der Raubbau am Produzenten – seine Ausbeutung als Mehrwert des Kapitalisten – ermöglicht dem Produzenten nicht, Herr über sein Produkt zu werden. Dem Ergebnis seiner Arbeit steht der Produzent ohnmächtig gegenüber. Die so schillernden Waren sind die stete Erinnerung an die Niederlage des Produzenten.2vgl. Karl Marx, in: Ökonomisch-philosophische Manuskripte, Marx Engels Werke, Ergänzungsband – Schriften bis 1844, Erster Teil, Dietz Verlag Berlin 1977, Die entfremdete Arbeit Seite 510 bis 522 Diese Entfremdungsstruktur zeigt sich in der globalen wie komplexen Herstellungweise der Produkte.
Zum Beispiel das Auto.
Die inhärenten technischen Parameter des Automobils übersteigen ihre sinnlich-menschliche Verwandtschaft zur Pferdekutsche, den menschlichen, erdbehafteten Bezug der Darinsitzenden zur Außenwelt. Diese physisch potenten, stählernen Gefährten sind für die Überwindung der Natur und des sozialen Kontakts konditioniert – man sitzt allein und sicher im Kampf gegen die anderen Insassen. Für Kontakt nicht gemacht, entmenschen die fahrenden Monaden die Welt und vereinzeln ihre Insassen beim Durchfahren der Landschaft, der Städte. Das Auto ist zum Vehikel seiner ehemaligen Funktionalität geworden – im Stau, in vollgestopften Straßen. Die Entfremdung sorgt für klare technische Angaben, sie zeigt sich im Umgang mit dem Produkt: lesen Sie die Gebrauchsanweisung war Gestern. Heute ist das Auto der Partner für beworbenen Lifestyle, eine Philosophie des entmenschten Individualismus. Kaum kann der Fahrer oder die Fahrerin einfach losfahren. Der Traum von automobiler Freiheit wuchert weiter in der Werbung, in Landschaften, die es nicht mehr gibt oder nur im Werbefilm und bleibt letztlich in der Garage stehen: zu viel Stau. Der selbstische Körper wird mit seinen die eigene Natur überwuchernden Erzeugnissen – Auto, Flugzeug, Motorrad – aus der Landschaft, aus der sozialen Gemeinschaft heraus gezogen, von seinen naturwüchsigen sinnlichen Verbindungen gekappt. In solchen metallischen Gefährten ist der Körper sich überbordend überhöht, zerschnitten mit seinem Innerhalb zur Maschine und Außerhalb seines Maschinen-mit-seins, seinen nach außen gehenden, dringenden Sinnen.
Es scheint, dass mit stärker werdender Kollision von Erfahrungsprothese (Auto) und Erfahrungsraum (vorbeiziehende Landschaft) der maschinell ausgelöste Raum für den Benutzer aufgelöst wird: Im dem Sinne, dass der Benutzer die auf ihn kommende Landschaft, vorbeiziehende Dinglichkeit nicht mehr erfasst, sondern begleitet. Der Körper ist durch die Maschine ein Teil von ihrer Reichweite geworden, Teil von ihren physikalischen Parametern (Geschwindigkeit, Beschleunigung), d. h., der Mensch als Bediener solcher Maschinen wird Teil der Apparatur, die er bedient und genießt. Er bildet im Fahrzeug nur die Erfahrungen von sich innerhalb der Maschine ab. Die Bäume und Gräser fließen durch den Tank oder Infotainment, nicht durch das Auge.
Oder:
Das Durchmessen der Landschaft mit automobilen Gefährten als lustvoll empfindbare Wahrnehmungskollision: Die Trennung des Körpers aus der Wahrnehmungskapsel des Hier und Jetzt. Die Kollision setzt den energetischen Sog, das Lustvolle im, am Schnellfahren frei. Ein stetes Durchfahren des Hier und Jetzt. Ein Durchschlüpfen mit hoher Geschwindigkeit. Nur noch Straße und Auto, ohne Landschaft – sie wird an der Fensterscheibe wie in einem Screen abgebildet. Stets zu sozialen Netzwerken, TV-Streams, Blogs etc. in Verbindung stehend – angebunden an der Konsole im Armaturenbrett . Ist das Außenwelt?