35, Objekte: trennen und nähen

Das Erkennen von Eigenschaften eines Objekts (Gegenstandes, Phänomens), seine Einordnung in Kategorien (Farbe, Proportion, Nähe und Distanz und andere Qualitäten) erfordert, vollzieht gleichsam eine Trennung des Beobachters von seinem beobachteten Objekt. Die  Emanzipation des Beobachtenden ist in der tiefsten Nähe zum Objekt seine Abnabelung von dem Objekt und dessen Welt, in der das Objekt zu Hause war. Die Objektwahl, das (sinnliche) Sein im Objekt geht wohl mit dem Entrückt-Sein von Welt einher.

„So ist das Ich ein von der Welt mit seinen körperlichen Sinnen getrenntes Wesen, eine
dauernde Naht zwischen Welt und sich selbst und seinen Objekten…“

Das erfahrene Anderssein wird durch diesen Prozess der Differnzierung bewußt. Die Formung zum Individuum ist eine Trennung von der Welt durch deren Aufspaltung (Transfromation) in seine Objekte – sie werden vom beobachtenden Individuum aus ihr herausgezogen und damit trennt, emanzipiert es sich stückweit von der Verbindung mit der Welt: Objektivierung als Spaltung von Welt findet statt – eine omnipotente Wahrnehmung, alles sehen hören riechen, erschwert die Scheidung zwischen Sinnlichkeit und Objekt. Für die Dünnhäutigen verschwimmt die Grenze. Jedoch brauchen wir die Differenzierung zum Umunsher, zur Welt, um uns selbst zu finden: gegen das Andere – mit den Anderen. Differenzierung wird durch unsere Sinne vorangetrieben, d. h. die Welt in unseren Differenzierungen wird durch unsere Sinne erst gefunden, dann sortiert, (versprachlicht) eingeteilt. In der Wahrnehmung der Naht zwischen der Welt und uns erkennen wir die von uns, durch uns getrennten Objekte, Dinge, Phänomene und: uns selbst. Wir erkennen uns nicht selbst ohne die Markierung des Anderen.
So ist das Ich ein von der Welt mit seinen körperlichen Sinnen getrenntes Wesen, eine dauernde Naht zwischen Welt und sich selbst und seinen Objekten, und ist ein durch seinen wahrnehmenden Objektivierungssinn losgelöstes Objekt selbst geworden, das sich selbst aus der Welt harausriss. Ja, das Objekt der Beobachtung wird das Subjekt der Beobachtung, wird in ihm – als der Sinn für es – aufgenommen. Die Verschmelzung – oder: Empathie – für das Objekt, das Andere, und dem Subjekt der Beobachtung (der Beobachter) gelingt nach der Trennung, der Differenz von ihm. Alle Objekte, Dinge, die dieses Ich sehen, hören, schmecken, sprüren kann – so schön und farbig, unerklärlich – sind nicht (nur) Ich, nicht es selbst. Die Konstituierung des selbstischen Individuums erfolgt durch seine gegen sich selbst geführte sinnliche Objektivierung.1Vgl. Max Bense, in: Ausgewählte Schriften, Band 1, Verlag J. B. Metzler Stuttgart Weimar, Seite 34
Das Ich ist das, an dem der Riss durch es selbst geht. Die Erfahrungsstrukturen eigener sinnlich konstatierten Objektivierungen annektieren das Ich, den Körper selbst – (seine Sinne) als Kapital eigener Entfremdungsleistung. Unsere Sinne sind an die von uns entfernten Objekte gebunden. Sie repräsentieren unsere Sinne. So präsentiert mein Kleid oder das Auto nicht nur meinen Sinn für dieses Objekt, sondern es re-präsentiert auch das Objekt meines Sinns als Status meiner Sinnlichkeit. Wahrscheinlich daher die Schwierigkeit, Gelerntes, das einmal eroberte Objekte durch neu provozierte Sinnzusammenhänge aufzugeben: In der Verknüpfung von Wahrnehmungssinn und Sinn für das wahrgenommene Objekt besteht die Schwierigkeit, die Kinderstube der Sinne zu verlassen, also die ersten Sinn-Erfahrungen durch abgeklärte Begriffe, Sprache zu ersetzen, zu überwinden. Der unendliche Seidenfaden des Wissens in den Nervenstrecken kokoniert das Objekt, macht es sprachlich fest. Das Objekt ist uns ausgeliefert, es ist vor uns bewegungsunfähig, kann unseren Sinnen wie Worten nicht entwischen – aber vielleicht fliegt der sich entlarvende Schmetterling einfach davon.

 

 

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