93, Konkrete Kunst

Je mehr der Vorgang im Bild einem geometrisch-mathematischen (= vorhersehbaren) Form-Kalkül weicht, desto mehr grenzt das Bild an formale Verengungen durch die formalen Ressourcen selbst. Das künstlerisch sich wiederholende Gebaren, bestimmte formale Zeichen, Formen wieder und wieder auszuführen – um als Stil von X Y dem gesellschaftlich geforderten Verformungszwang zu entgehen oder ihm zu entsprechen, kann als stilistischer Ausweg gegen Lähmungserscheinungen (in der Kunst) formalisiert oder als Stagnation innerhalb des Lähmungsprozesses begriffen werden. Stil als formale Lähmung. Konkrete Kunst als Kontrolle konkreter Ängste. Ästhetische Ordnungen werden zum Abbild idealisierter Konstruktion von formaler Stabilität. Faktisch Vakuumiert.
Die Variabilität sinkt, jedoch ist der Malakt, das Anstreichen störungsfrei planbar und mit nichts, mit keinem unmittelbaren Zweifel verunreinigt. Die Auslöschung der gegenständlich-figurativen Verweise im Bild, Ausblendung ungeometrischer Ereignisse orientiert sich an dem Bedürfnis der Künstler nach maßstäblicher Richtigkeit (im den Bildraum vermessenden Sinne), um eine gewisse Unabhängigkeit vom Urteil der Betrachtenden zu erreichen und Distanz zum Angstraum der Wirklichkeit. Die Verweigerung der künstlerischen Vorstellung, selbst das Messer in den Rumpf zu bohren oder zusehen zu müssen, oder am Abzug zu drücken, deutet auf die in geometrischen Formen vollzogene Abstraktionsleistung in geometrischen Formen hin. An der Instrumentalisie­rung der Geometrie erkennt man den Zeitgeist. Abstraktion als Training fürs Töten, fürs Dekor. Die Totalität der Beschränkung auf konkret manifeste geometrische Formen zielt auf eine Absolutheit der Wahrnehmung und nicht auf die Totalität der Angsterfahrung. Die technoiden Arbeitsabläufe in der Backfabrik wie in der Tötungsabteilung der Hennenfarm stumpft die menschliche Empathie ab.
Dort, wo in mathematischen, geometrischen Phänomenen eine ästhetische Dimension entdeckt, wiedererkannt wird oder deren ästhetisch Einführung gelingt – das Verdienst der Konkreten, Abstrakten Kunst, des Minimalismus – zwängt diese mathematisch-geometrische Dimension das Ästhetische auf ein berechenbares Kalkül ein. Der Selbstzweck des Logischen – das auf sich selbst verweisende Kalkül vorhersehbarer Form, die Bezeichnung, die stets auf die Bezeichnung insistiert, weil das Bezeichnete ausgeschlossen ist, zeigt sich hier als Implosion der Form mit sich selbst. Die auf sich verweisenden und rückführbaren formalen Funktionen, die sich zu funktionellen Formen entwickeln, dienen der Feststellung einer (vom Betrachter unabhängigen) bildnerischen Totalität und nicht der Integration der Veränderung, des Werdens-Prozesses, der entropischen Zeitdynamik des Lebens. Vielleicht spricht aus den konkreten Bildern der Versuch, deren Wirkung vorherzusehen, abseits von der Tagesform des Malers festzulegen. Die Form wird formal(istisch), weil funktional. Das Malerische wird zum Anstrich des Kalküls. Es geht um Kontrolle. Sicherheit. Das fördert die zeitlich-epistemologische Beschrän­kung im Umgang mit dieser Kunst und greift in das Verfertigen von funktionalistisch erhärteten Werken ein: das, was zu sagen wäre, was mit der Zeit zu Gehalt werden könnte, ist mit mathematischen Gliederungen fertig gemacht. In diesen Werken glänzt technische Kälte. Wenn jemals eine Funktion (als ästhetisches Erkennen) im Bild durch ihre Formulierungen anspricht, und sich derart ausdrücken kann, so wird in der mathematisch-geometrischen Kunst die Funktion nicht dadurch gerettet, weil deren Formulierung, Durchführung funktional bestimmt wird. Das bedeutet, daß die Form nicht durch deren kaltes funktionales Entstehen bzw. Auswickeln gerettet werden kann. Die Bedeutung kann durch die Form sprechen, aber die Form kann nicht deshalb bedeutend sein, weil ihrer Herstellung besondere Bedeutung zukommt. So in der Form wütend, ist die Funktion schnell dekorativ lesbar. Unter den Fittichen planbarer Kalküle wird die Form steif. Die bildnerische Form geht in der funktionalen nicht auf. Wo nichts berechnet, ausgemessen, und technisch nichts gefangen werden kann, wie soll das Schöne dann zu fassen sein? Betrachtung ohne Sinnlichkeit ist bloße Rationalität, eine Ratio ohne ästhetischen Sinn.

 

14 rote Rechtecke auf blauem PVC, Lack auf PVC, 120 x 195 cm, 2004, © Hans Georg Köhler

Jede symbolische Form – eine zum Eigenwert getriebene Allgemeinheit des Materials, des Sujets usw., worin das Material in den ästhetischen Rang der Kunstform gelangt, wird zur Floskel, wenn sie in der Konzentra­tion aufs Material ihre menschliche Maßstäblichkeit, Geschichtlichkeit verliert. Insofern ist abstrakte Formalisierung Sinnentleerung, weil sie von statischen Formen ausgeht und sie mit sich selbst sinnlich fruchtbar machen will. Die erzählerischen Kontexte werden zugunsten des sinnbestimmten Materials aufgegeben. Das Material erzählt. Die Romantik entdeckte den Eigenwert des (beobachteten) Materials in Naturphänomenen. Das Licht, die Blätter… die Staffage der Natur, deren ethisch unverwerfliche Gegenständlichkeit, die in einer Übertragung auf das menschliche Dasein zur Idealisierung von Gefühls- und Geisteshaltungen dienen konnte. Die für den aufkommenden totalitären Produktionsprozeß notwendigen Abstraktionen, d. h. die zweckgerichtete Einschränkung des verwendeten Materials (der Begriff >Rohstoff< enthält bereits Abstraktionen) auf dessen mittelgerechte Verwendbarkeit führt dem Zwang richtig folgend zur Idee einer weitestmöglichen Anpassung des jeweiligen Materials (der Gegenstände) an die vorgegebenen Bedingungen ihres technischen Einsatzes. Das gilt auch für die Kunst. Die andere Seite: Produktionstechnische Idealisierung materieller Gegenständlichkeit als Ästhetisierung des technischen Effekts ist in allen Gattungen bemerkbar. Die Idealisierung des Produkts/ Kunstwerks als Resultat vielzähliger Abstraktionsschnitte macht die verhackstückten Stoffe und Menschen in dessen Produktion vergessen. Hier trifft sich die romantische Einfühlung am Kirschzweig mit der über allen Klee gelobten idealen Performance des Autolacks.

Doch die Gegenstände, Objekte können wir nur mit ihrer Beschreibbarkeit zu sich selbst entlassen, zurückgeben. Wir haben sie, weil wir da sind, der Beschreibbarkeit schuldig gesprochen. Was bar dieser, ist ein Beschreibungstotes Feld: Ein Gebiet der Angst, woraus das Fürchten in der Nacht. In der Not des Ausdrucks sind Phänomene zu Hause. Kindernahrung für Ungeheuer.

Klarheit nur, wenn man Zusammenhänge tötet, alles entleert, die Landschaft sprengt: Zur Lichtung objektiviert. Natur ist beängstigend unübersichtlich oder formal inspirierend. Ungewissheiten lassen sich nicht klar ausdrücken. Blind mit Stock tappt der Suchende im Gelände: bis er freundlich an der Hand bei Grün über die Straße geführt oder rücklinks vom Raubtier mit Breitreifen und mit methodisch geschärften Zähnen zerrissen wird.

 

 

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