80, Therapie – produktionsimmanent verschwörerisch

Die Endlichkeit der Therapieversuche, die das zu behandelnde Subjekt als unproduktiv gewordenes Subjekt betrachten, zeigt sich dort, wo sie an den gesellschaftlichen Gegebenheiten scheitert und die behandelten Subjekte als nicht reintegrierbar in medikamentöse Dosen oder Anstalten überweist. Die für den Arbeitsprozess ausgefallenen Subjekte sollen für das, was sie vormals krank machte, wieder fit gemacht werden. Sie werden aus dem Produktionsprozess externalisiert, werden dessen Anhängsel, um sie abermals hineinzustecken – als funktionstüchtige produktive Probanten. Der Entlassung aus dem Produktionsprozess folgt die Einweisung oder Verhaftung. Das im ökonomischen System etablierte und herausgeforderte institutionell verwaltete Gesundsein schiebt das behandelte Subjekt in einen temporären nicht der Vernutzung ausgesetzten Zustand, in einen latent-reproduktiv zu leistenden Wiedereingliederungs­zustand. Hier kann man einen strukturellen Zusammenhang von Gesundheitsmarketing und den Ergebnissen des Drogenkonsums erkennen.1zur Untermalung eine Probe aus >>Gehirn & Zeit<<, Das Magazin für Psychologie und Hirnforschung, Jahreszahl?, Nr.:6, Seite 26 f: „Medikamente für Gesunde? Offiziell werden die Forschungsbemühungen zwar gern als Suche nach einem Medikament gegen Alzheimer deklariert, doch das halten viele Insider lediglich für einen Vorwand: >>die Behandlung von Demenzerkrankungen liefert nur die medizinische Rechtfertigung<<, (…) >>Die Pharmafirmen geben es nicht zu, aber sie haben es auf ganz normale Menschen abgesehen – auf den 44-jährigen Geschäftsmann, der versucht, sich einfach besser an die Namen seiner Kunden zu erinnern. Dort wartet der Profit.<<“ „Sollte sich diese Art des Hirndopings noch weiter ausbreiten, befürchten Farah und ihre Kollegen weit reichende Konsequenzen: >>Dann kommt es zwangsläufig zu Situationen, in denen Menschen dazu gezwungen sind, ihre geistigen Fähigkeiten auch wirklich zu verbessern.<< Denn schließlich würde jeder Berufstätige bemerken, dass er mit Gedächtnispillen und Wachmachern schneller und effektiver arbeitet als ohne – und endlich wieder mit dem psychopharmakologisch längst >>getunten<< Kollegen am Nebentisch mithalten kann. Was ist, wenn der Verbleib im Job oder in der Schule davon abhängt, ob jemand bei der neurokognitiven Leistungssteigerung mitmacht?“ [Statt mit Faustkeil, Schwert oder Napalm schlachten wir uns pharmakologisch ab. Es geht auch nur darum, im Arbeitsleben zu bestehn; jeglicher Horizont der Vorstellung unterstellt ein Angestellten- oder Arbeitsverhältnis. Die Menschen verschwinden, bevor sie aussterben.] Was im Gesundheitsmarketing als reproduktive Lebensqualität angepriesen, ist im per Drogen erhaltenen Arbeitspensum schon Zustand: die Landschaften des Rauschs. Der Wohlfühlkick, „die Steigerung der Lebensqualität“, „des aktiven [!?] Lebensgefühls“. Wie auf allen Märkten, so auch auf dem Gesundheitsmarkt – was für ein Wahnsinn schon in diesem Wort – soll die gesteigerte Anzahl der Produkte das Bedürfnis nach diesen Gesundheitsprodukten (welch sprachliche Ironie) erzeugen, dann befriedigen: es geht darum, einen Markt zu schaffen.2„Zur Überschätzung der Medikamente trage zudem bei, dass die Firmen durch offen und versteckte Marketingkampagnen versuchen, natürliche Alterungsprozesse und Befindlichkeitsstörungen in angeblich Behandlungsbedürftige Krankheiten umzudefinieren, die einen Massenmarkt versprechen: Medikamente werden Teil des modernen Lebens. (…) Doch gerade da, wo es für ein Medikament keine klaren medizinischen Argumente gibt, geben die Hersteller immer mehr Geld für Werbung aus. >>Etwa ein Drittel ihres Umsatzes investieren die Firmen in Marketing und Vertrieb, für Forschung geben sie nur halb so viel aus<<“… besondere Sorge bereitet, „dass viele Maßnahmen verdeckt ablaufen und ihre Quelle verborgen bleibt.“ SZ, 19.05.2005, >>Pillendreher und Strippenzieher<< Ein Bericht des britischen Parlaments deckt auf, wie massiv der Einfluss der Pharmaindustrie in Europa ist (von Klaus Koch) Das sich in Arbeit verausgabende Subjekt ist einer Reduzierung seiner Gesundheit ausgesetzt und das beiderseitige Interesse besteht, den Mangel solange wie möglich mit Präparaten hinauszuschieben. Statt mit Faustkeil, Schwert oder Napalm schlachten wir uns pharmakologisch ab. Es geht vorrangig darum, im Arbeitsleben zu bestehen; der Horizont der Vorstellung endet im Angestelltenverhältnis. Die Menschen verschwinden, bevor sie aussterben.
Die suggerierte Möglichkeit der Steigerung der Gesundheit – den Arbeitstag zu überleben, fördert zugleich den gesundheitlichen Mangel in der bisherigen Praxis des Konsumenten zu Tage. Die Verschreibung medikamentöser Mittel gegen Depressionen hat sich in Deutschland, als auch in Groß-Britannien verdoppelt.3SZ, 19.05.2005, >>Pillendreher und Strippenzieher<< Ein Bericht des britischen Parlaments deckt auf, wie massiv der Einfluss der Pharmaindustrie in Europa ist (von Klaus Koch) Das, was du jetzt mit dem Produkt XY in der Arbeit performst, fehlte dir vorher. Ohne ist es nicht zu schaffen. Im Steigerungszwang von Gesundheit – den Arbeitsplatz zu überleben mit dem erneuten Kauf von solcherart Gesundheits-Produkten – kulminiert das Gesund-werden-Müssen in den Status des Nicht-mehr-gesund-Seins. Die Definitionsmacht der Gesundheitsindustrie und deren Produkte erzeugen ein Gesundheitsimperativ, dessen individuell zu ergreifende medikamentöse Eingriffstechnik dem Leib der jeweiligen Unternehmen entspringt. Nichts weniger als eine Abarbeitung der Psyche für die Vollendung des wirtschaftlichen Körpers wird verlangt.49 von 10 klinischen Studien werden von Pharmafirmen finanziert, SZ, 19.05.2005, >>Interessierte Helfer<< Besonders zeichnet das Angst-Haben aus, dass Vorstellungen über den Angst-freien Zustand nicht oder kaum mehr entwickelt werden. Der von Angst Befallene kommt über die im Arbeitsprozess erzwungene gesundheitliche Unendlichkeit seiner temporären Tätigkeit nicht hinaus.5„Der Patient erweist sich als unfähig, seine Angst begrenzende, relativierende oder negierende Gegenvorstellungen und Gefühle zu entwickeln. So kann er in der besonders häufigen Angst, nie wieder gesund zu werden, keine Vorstellung mehr davon entwickeln, dass sein gegenwärtiger Zustand je wieder aufhören könnte. Verluste erscheinen unausgleichbar, unwiederbringlich – endgültig und unermesslich, eine Schuld unaufhebbar und unbegrenzbar.“ Alfred Kraus, in: Spezifität melancholischer Verstimmung und Angst, in: Das Phänomen Angst, Pathologie, Genese und Therapie, hrsg. Hermann Lang und Hermann Faller, stw 1148, Seite 110
Es geht offenkundig darum, „die natürliche Ausstattung [!] des Menschen zu verbessern.“ Der innerbetriebliche Konkurrenzkampf wird – außer den noch zu erwähnenden chirurgischen Eingriffen, Abschneidungen, Torturen – medikamentös ausgetragen. „So wie sich durch die Schönheitschirurgie unsere Vorstellung von ‚normalem’ Aussehen wandelt [es wandelt sich – die Macht versteckt sich im Passiv], könnte Neuro-Enhancement Normen verändern“ […]. Die Unterstützung für Firmen, Projekte, die auf diesem Gebiet forschen, unterstützt durch Pharmakonzerne „weißt darauf hin, dass der profitable Markt der gesunden Unzufriedenen erschlossen werden soll.“ Laut dem Artikel zufolge, scheint die Möglichkeit nicht utopisch, „mit Elektroden im Gehirn das Denken zu beeinflussen“ […] „auch können sie Patienten von Zwangsvorstellungen befreien, etwa der krankhaften Angst vor Bakterien. Erwogen wird der Einsatz gegen Drogen- oder Fresssucht.“ (Nature, Bd. 436, S. 18, 2005) Sie können die Arbeitenden davon befreien, Angst vor Überarbeitung, vor Arbeit- oder Nichtarbeit zu haben, sie können gegen widerständiges Denken eingesetzt werden. Vielleicht erstmal nur pharmakologisch statt mit Elektroden. In der bürgerlichen Zeitung liegt man so sehr auf der Wahrheit, dass sie nicht gesehen wird: „Unter Arbeitskollegen, die durch solche Mittel pausenlos gut gelaunt sind, oder in einer Klasse, in der Schüler mit Pharma-Unterstützung lernen, wären diejenigen, die heute als durchschnittlich gelten, vielleicht bald Miesepeter oder versetzungsgefährdet. So frei ist die Entscheidung für oder gegen das Hirn-Viagra damit nicht. Auch wird es Pillen für das schöne neue Denken wohl kaum auf Krankenschein geben – nicht jeder wird sich einen klügeren Kopf leisten können.“6SZ, Nr. 226 (23.09.2005), Seite 11, >>Doping fürs Gehirn<<, Medikamente zur Therapie neurologischer Leiden verbessern auch die Denk- und Gedächtnisleistung Gesunder (von Wiebke Rögener)
Diese Möglichkeiten scheinen erzwungen, aber sie sind der gesellschaftlichen Kommunikation immanent, die die Produktionssysteme darstellen. Die in den Produktionsprozessen ausgelösten – indizierten – Zwangsvorstellungen, diese als unabänderbar zu sehen, die Vorstellung also, die in den Zwang ausartet, die zwanghaft wird, fordert für diesen massenhaften Zwang, zwangsweise Massenartikel. Der Zwangsvorstellung folgt der Massenartikel. „In der psychischen Ökonomie erscheint der Massenartikel als Zwangsvorstellung. [Ein natürlicher Bedarf für ihn ist nicht da.] Der Neurotiker ist genötigt, sie mit Gewalt in den natürlichen Zirkulationsprozeß zwischen die Vorstellungen hineinzupumpen.“7Walter Benjamin, in: Das Passagen Werk, Suhrkamp Verlag, Seite 429

 

 

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