189, Die Kälte des Objekts – eingefroren im Beobachten

Die Beeinflussung des Beobachtungsgegenstandes durch den Beobachter ist Bedingung für die Beobachtung. Das Beobachten ist ein symbiotischer Vorgang, in dem sich Beobachter und Beobachtetes einander bedingen, hervorbringen und be-gegnen. Man ist niemals losgelöst: weder vom Beobachteten noch von den eigenen präformierten Sinnen während der Beobachtung. Niemand ist Gott und hat eine Wahrheit jenseits des Objekts oder außerhalb der Einheit von Beobachteten und Beobachter. Der Beobachter bringt sich mit seinem Beobachtungsstatus in den Prozess des gegenseitigen Beobachtens mit ein (gegenseitig: Beobachtung des Gegenstands und der Beobachtung der Beobachtung). Die niemals vollständig zu vollziehende Kopula des beobachtenden Subjekts mit seinem Beobachtungs-Objekt erschwert die konzentrierte Beobachtung, denn das Beobachtungsfeld – die Umgebung vom Beobachtungsobjekt – ist voll von möglichen Annäherungsweisen an den Gegenstand: Er ist noch offen, noch nicht strukturell eingezwängt.1siehe Dirk Baecker, Alexander Kluge, in: Vom Nutzen ungelöster Probleme, Merve Verlag 2003, Abschnitt zu Gregory Bateson (Struktur versus Operanden) Wird dieser Zusammenhang – von Beobachter und Beobachtetem – vorzeitig zugunsten einer Bemächtigung des Beobachtungs-Objekts aufgeben, also zugunsten eines kommandierten Vorrangs ausgewählter (selektiver) Kriterien, oder zugunsten der Nivellierung der Beobachtungsqualitäten durch bemessende Einheiten, erlangt die Erfassung von Beobachtungskriterien, Kategorien –und Kalkülen die Herrschaft über den Wahrnehmungsprozess. Noch bevor Wahrnehmung in Kommunikation transformiert wird, bemächtigen sich kategoriale Verfahren der zu beobachtenden Objekte.
Die eingeschränkte Bemächtigungsfähigkeit (mangelnde Kopula, vorzeitige Qualifizierung/ Bewertung, Datenerhebung der Objekte) wird prozessual standardisiert zu einem operativen Gleichrang aller Beobachtungsobjekte -wie Kriterien, vor allem dann, wenn für Zwecke einfachhalber die Komplexität der Mittel – des Prozesses – unterschlagen wird. Erfassung – Simplifizierung – geht vor Komplexität. Die Beschreibungskriterien verschanzen sich hinter einer kalten Fusion mit dem Gegenstand, dem Beobachtungsstück. Beobachten ist Behandeln geworden. Mangelnde Nähe wird gefeierter Abstand. Aus dem aufklärerischen Werben um den Gegenstand wird dessen logische Einzäunung. Bezwingend. Es gilt den Beobachter herauszuhalten, dass er sich nicht vermische, involviere mit dem, was er beobachtet – eigentlich damit erst kontrolliert, beherrscht werden soll. Der Zugriff auf den Gegenstand – er wird einem bestimmten Beobachtungsregister unterstellt, damit nichts bleibt, als zugreifen zu müssen – in der Überwindung von Ungewißheit (als Vorschuß der Furcht) charakterisiert ein Problem.
Ohnmächtige Qualität erreicht dieses Vorgehen, das menschliche Tätigsein, wenn diese „negative Bewegung“ vom tätigen Menschen auf sich selbst bezogen wird – das also der Zugriff auf den Gegenstand das Leiden des Beobachters wird und er sich vom Gegenstand ergriffen fühlt. Jeder Schritt in die Welt ist das Leiden der Welt in ihm. Die Beobachtungskultur degeneriert, wenn sie den Menschen ausschließt im Beobachtungsvorgang. Sein Leidensvermögen verflüchtigt sich zugunsten kalkulierbarer Objektivität – als Kälte zum Objekt.
Die für das suchende Subjekt flüchtige Wirklichkeit ist ständig in Fortsetzung begriffen.
Die Wunde kann mit der größeren ersetzt werden.
Der ergriffenen Wirklichkeit kann man nur entschwinden mit ihrer menschlich angezettelten Verkörperung (durch Wahrnehmung). Als dargestellte Wunde (ästhetisch, künstlerisch). So, als würde das permanente Beobachten/ Kopulieren mit der REALITÄT uns vor ihrem Erfassthaben feien. Das, was wir jetzt sind, entspringt unseren geglückten Fluchtwegen.

 

 

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