17, enter you, baby!

Kafka, Haut und bodyhacking

Kafkas Beschreibung der Herausbildung von Vorurteilen, Verdächtigungen, Annahmen in „Der Prozeß“ und seine detailreiche, minutiose literarische Darstellung der Vollstreckung eines Urteils in seiner Erzählung „In der Strafkolonie“, ist deshalb interessant, weil sie die Verstrickung einer eingekesselten, in ein Schicksal hinein geworfenen und nach Übersicht schnappenden Person darstellt, die sich in einem funktional integrativen1Vgl. Lehrbuch der Soziologie, Campus Verlag, Frankfurt/ New York, Hrsg. Hans Joas, Übersetzung Ekkehard Schöller, 3. Überarbeitete Auflage 2007, Seite 21Prozess undurchsichtiger Abhängigkeiten aufhält. Die ihr vorgesetzten funktionalen Ordnungen sind für die darin agierende Person kaum dechiffrierbar; sie wird ohnmächtig, zappelt im Netz der sich ihr entgegenstellenden Kontexte und immerfort schreibt sich die Funktionen bestimmende Ordnungsmacht tiefer in sie hinein: so wird die Haut der Angeklagten in Kafkas „In der Strafkolonie“ zur Grenze wie Areal dieses Prozesses: Mit feinen spitzen Nadeln werden den Häuten Porentief Gesetzestexte eingeschrieben.

Niemand ist wirklich frei wie unabhängig von anderen und gänzlich ohne funktionelle Bestimmung in der Gesellschaft. In administrierten Arbeitsprozessen verschärft sich die Differenzierung der persönlichen Funktionalitäten wie die gegenseitige Abhängigkeit zwischen den Personen. Keine funktional definierte Person hat in komplexen Institutionen eine totale Perspektive auf das sie bestimmende Geschehen. Es sind die Anderen. Das Handeln des literarischen Akteurs ist in Kafkas Strafkolonie als auch im Prozeß in eine beschränkte oder ihn beschränkende funktionelle Teilhabe an der ihn betreffenden Funktionsbestimmung – als Vollstreckung des verübten Funktions-Urteils – verstrickt. Die geringe Funktions-Schnittmenge des Akteurs mit anderen Funktionsträgern stößt im Prozess des Aushandelns verschiedenster Funktionsebenen an unvorhersehbare – durch unbekannte Funktionen definierte – Grenzen. Der fehlenden Überblick aufs „Große Ganze“ trifft den einzelnen Akteur jedoch persönlich, denn er ist funktional darin eingegrenzt und er stößt wiederholt an die funktionalen Beschränkungen seines Funktionsbereiches, an seine ihm vorgesetzte und ihn bestimmende Entscheidungsbefugnis, die ihm als Institution entgegentritt. Der Protagonist ist systemisch gefangen. Der um seine Unauffindbarkeit, Unauffälligkeit kämpfende Protagonist – er will nicht in Konflikt mit anderen Funktionsbestimmungen geraten – muß scheitern aufgrund der systemischen Vor-Verurteilung seines (persönlichen) Habitats zur Funktion. Die dem Protagonisten aufgetragene wie ihn selbst tragende Funktion treibt ihn bald unfrei in diese hinein. Der dem jeweilig in der Firma Mitarbeitenden zugewiesene Funktionsbereich suggeriert einen Handlungsspielraum, eine Ermächtigung qua ihm vorgesetzter Funktionalität. In dieser Funktionsebene besitzt der Mitarbeiter inklusive seines funktional bestimmten Handlungsspielraums jedoch kaum Anschlussfähigkeit zu anderen Hierarchien. Er macht hier seinen Job und ist für alles andere nicht zuständig. Die Angst vor „funktionellen“ Fehlern, lässt wenig Verantwortung zu. Im Arbeits-Kontrakt sind die Arbeits-Funktionen als paragraphierte Handlungsanweisungen festgesetzt und die Mitarbeiter sind mit ihnen verhaftet, verkörpert. Die Putzfrau dringt nicht zum Direktor vor. Die Verstrickung der Person mit ihren Lebensentwürfen entsteht zwischen der abstrakten Idee von sich selbst als freies bürgerliches Individuum und der erzwungenen oder von sich selbst verkörperten Erwartung der Einordnung in einem das Leben verdienenden Funktionsbereich; in irgendeiner Arbeit. So erkennt sich die Person als Funktion und erkennt andere als solche. Die funktionell befangene Person ist schon in Gefangen­schaft mit seinen Funktionen befangen, bevor ein Urteil gefällt werden braucht. Ambivalent an dieser Situation ist, dass die funktionelle Person wieder als Person auferstehen kann, wenn sie sich mit Haut und Haaren ihrer Funktion verschreibt, d. h., wenn sie in ihrem Job total aufgeht, wenn’s ihr Spaß macht, sich als Person mit ihrer Funktion zu vermählen. Die funktionell definierte Person entkommt der ihr unterstellten Funktion nur, indem sie diese überbietet, sich als Person tatsächlich als Funktion durchführt, sich selbst als Funktion begreift. Aus Frau Meier wird die Zahnärztin. Die Funktionen tragenden Personen werden zur sozialen Richtschnur des Schicksals für jedermann. Dieser Einschreibungsprozess ist äußerlich am Habitus, an der Kleiderordnung, im Bewegungsstil zu erkennen und geht bis unter die Haut. Man trägt nach außen vor, schreibt sich mit erkennbaren individuellen Uniformen ins soziale Umfeld ein, was innen, im Körper bereits als Funktion wuchert. Vor der Hochzeit von Mensch und Maschine vermählen wir uns mit deren Aufgaben. Ja – es geht um Identität. An der Grenze unserer Körper schneiden wir uns zuerst: Wir ketten uns an das eigene Piercing, an die verehrte Band, an ein Symbol, eine Marke. Die Haut als Schnittstelle – Interface – bildet diesen Prozeß der Vereinnahmung ab.

Enter you, baby!


2Werbung aus den 2000er Jahren in der SZ

Die physische Einschreibung einer selbstischen Handlungsanweisung oder Vorschrift auf die eigene Haut – als funktionelle Verkörperung eines Gesetzes wie in Kafkas „In der Strafkolonie“ exerziert – spiegelt die Möglichkeiten neuer Vereinnahmungen des Körpers wider: für die Übertragung von ideologischen, politischen und Produkt affinen Botschaften.  Der menschliche Körper ist das Medium funktionaler Botschaften und deren Kontexte geworden. Produkt wie Werbe-Medium, Subjekt und Objekt gleichen sich hier an: auf der Haut des menschlichen Körpers. Der sichtbare Körper wird Kampfplatz, performativer Ort des Ausdrucks und Mediums produktinvasiver Botschaften, wenn auch individuell verklärt. „Die Epidermis, das flächenmäßig größte Organ des Menschen, wird als Interface entdeckt.“3Vgl. Claudia Benthien, in: „Haut, Literaturgeschichte – Körperbilder – Grenzdiskurse“, Hrsg. Burghard König, rowohlts enzyklopädie im Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbeck bei Hamburg, 1999, Seite 11

Die kapitalistische Über-Produktionsweise erzwingt die Erweckung nach ständig neuen Bedürfnissen – wie sonst könnten die massenhaften Produkte abgesetzt werden – und deren fleischliche Eingemeindung ins individuelle Bewußtsein. Ein ständiges Aufreißen neuer Bedürftigkeit ist im Gange, flutet die Screens. Die beworbenen Produkte werden mit dem Schrei nach ihnen durch die Konsum-Junkies gerechtfertigt. Aus Bedürfnis wird Bedürftigkeit gepresst. Das inszenierte Individuum ist Opfer seiner Ansprüche geworden und geht in den Streik, wenn es nicht verreisen oder konsumieren kann. Die Produktspezifisch aufgeblasene Individualität kollabiert an ihren monadisch-narzisstischen Ansprüchen, an ihrer Künstlichkeit. Jeder Körper ist nur ein Absatzgebiet und er selbst schreibt sich als Adressat in den ihn betreffenden Verbrauch als seine Abnutzung ein. Da soll nichts anderes gefühlt werden als der empfohlene Waren­tausch. Empathie ist zur Differenz zwischen empfohlener Ware und ihrem empfundenen Verlust geschrumpft. Dem Gesetz kapitaler Vernutzung verpflichtet, wird der querulante Körper endlich mit der eigenen Haut und der Oberfläche der Ware kongruent. Das Produkt wird dem geilen Konsumenten eingeschrieben: in seine Haut mit den Buchstaben des über ihm herrschenden Bedürfnis- wie Bedürftigkeitsurteils. Als beschriebe der Konsument sich selbst, wird er Produktkonform zur Produktreferenz verkörperlicht. Die unheimliche Zukunftsvision in Kafkas Strafkolonie ist in die Realität der Häute eingebrochen. Es gilt als schick, sich mit Sponsorenlogos zu tätowieren. Branding. Kafkas Strafkolonie nahm heutige Funktions- bzw. Produkt-Einschreibungen als Besetzung des eigenen Leibes literarisch vorweg. Die KZ–Tätowierung als Brandzeichen ist das Gleichnis für jene, die für ihren Arbeitgeber im Zuge einer coporate identity werben müssen. Das Lohnempfänger-Subjekt wird zum Antagonisten seiner selbst in den industriellen Schlachten gegen andere Lohnempfänger. Die Werbeindustrie stürzt sich mit seinen Produktmanipulationen, Täuschungen auf das Körper-Areal, welches im Konzentrationslager schon zur Verwaltung von Menschenmaterial diente. Die an Menschen-Häuten sich orientierende Organisation des Tötens ist in zeitgenössischen Werbekampagnen direkt am vom Waren-Konsum beherrschten Körper ablesbar: Durch hautnah eingeschriebene Markierungen. Sie zeigen die Inkorporierung von Produktions-Ideologien zum Lebensgefühl. Der definitorische Nachfrage-Zwang, Zielgruppen mit permanentem Kunden-Hacking zu generieren, zeigt sich noch in der allumfassenden Ermittlung von digitalen Fußabdrücken umworbener, weil potentieller Kunden. Der Preis ist eine ungeahnte komplexe Struktur für Entscheidungsvorgänge im alltäglichen Leben. Dialektisch schön wird dieser komplexe Lebens-Zustand durch das Angebot seiner Überwindung angepriesen:

„Leben Sie, wir kümmern uns um die Details.“ Slogan der Hypovereinsbank

4Werbung Hypo in 2000er Jahren in der SZ

Die politisch wie wirtschaftlich ins Naziregime verstrickten Konzerne haben ihren Werbeenkeln die gemeinsame Geschichte beigebracht. Wenn damals noch Haut abgezogen wurde für Lampenschirme, so umschmeicheln heute globale Konzerne mit ihren Werbekampagnen Produkte wie Kunden mit Häuten auf denen eingebrannte Firmenlogos festsitzen. Zuweilen wurde die Haut der Stirn als Eingabegerät für Kundenwünsche dargestellt.

Die Haut muß abziehbar, abwaschbar bleiben, d. h. offen für neue Angebote, Angriffe, Lebens-Erhaltungen. Botox-Glättungen. Brandzeichen kommen auch schon vor. Wie in der Massentierhaltung: codierte Ohrclips zeigen am Ochsen oder Kalb seine produktspezifische industrielle Verwertung an. Im gesellschaft­lichen Produktionsverkehr kann man die Zuordnung der Menschen zu bestimmten Waren als Zielgruppen zusammenfassen und als Selektion begreifen. Der Begriff der Zielgruppe ist ein Mal schlechter Auserwähltheit: determiniert zum Verbraucher. Nicht Selbst-Bestimmung, sondern Einordnung wird eingefordert. Marketing als Erfassung und Bezeichnung der Person. Der altmodische Satz, dass „die Haut nicht zu Markte getragen werden darf“, spricht im Tabu verkleidet die Dialektik des leiblichen Zugriffes des Marktes auf die Körper aus: da ist der Zugriff schon äußerlich am Körper mit Marken-Klamotten fest gemacht und zugleich das Tragende seines Trägers. Das Logo am getragenen Kleidungsstück wird im doppelten Sinn Getragenes: ein bloßes Transportmittel der warenmäßigen Botschaft. Man schleppt eine permanente Zielgruppenbestimmung mit. Bis auf die Haut. Die fürs Marketing kolonisierte Haut wird ihrem Träger als Landmarke eingedrückt. Die ehemals physische Einheit, der letzte biologische Überzug wird zur Produktions- und Projektionsfläche. Das äußerlich Identifizierbare, dem Auge Zugängliche hat die Körper besetzt. Längst sind die Gehirne an der Wahrnehmung und Kommunikation von Produkten sozialisiert, sie sind in ihrer sich zu Markte tragenden „Individualität“ erreicht. Die menschliche Haut ist ein Angelplatz umworbener Handelsplätze. Cremes, Stoffe, Mode, Parfüm, Banken, Sex, Autos.

Werbung total orbital, verknotete Blicke, verklebte Schnittstellen von beschnittener Kommunikation sind Narben in Bewußtseinsarealen geworden. Sie sind das vernarbte Outfit eingehackter Eindrücke. Images. Eingesponnen von den Leitungsdrähten der fakemächtigen Sozialen Medien, markieren die Posts des Nutzers die Wege zum nächsten Produkt. Im Gehirn flackern die Lichter endlos. In der Weise wie Codes mein Erblicktes „sehen“, interpretieren, werde ich als mein Beobachter, Ob-Server, digital neu geboren. Mein Outfit ist das stets aktuelle Benutzerprofil. Sehen als Test für das, was des Sehens würdig. Klicken – nicht Blicken!

Wie ist die kalkulierte Verletzung eines Körpers in einem Werbefoto zu fassen, auf dem die plakative Verletzung zur werbewirksamen Reizschwelle ästhetisiert worden ist?

Die Auflösung der Person zum Benutzerprofil: Zielgruppenanalyse verwendet algorithmische Rationalitäten der „persönlichen“ Erfassung, die jedes Verhalten ins Visier nimmt und zum Ziel eines Angebots macht, was wir nicht ablehnen können. Wir werden nicht durch Arbeit oder Gas getötet, sondern im Müll unserer Produkte ersticken wir.