28, Transzendentale Apperzeption

Eine ehemals sinnliche Erfahrung von einem Phänomen X wird, wenn ähnliche, assoziierende Wahrnehmungsreize sich wiederholen, aus der von dem Phänomen (Wahrnehmungsreiz) erzeugten nervalen wie körperlichen Struktur wiedererkannt (in dem Sinn: die Nerven erkennen nicht, aber sie reproduzieren bei strukturell sich wiederholenden Reizschemen reproduzierbare Assoziationen). Der bekannte (trainierte) Wahrnehmungsreiz löst die Reproduktion, die Erinnerung an ihn aus. Die Assoziation war, ist angelegt.

Ich hatte einen Traum: Ich befand mich auf einem Flughafengelände. Kurz vor der Abfertigung, Kontrolle zum Gate, bemerkte ich, dass ich meine Tasche, irgendwas Wichtiges vergessen hatte. Ich rannte also „zurück“ – schon im Traum viel mir als 2. Beobachter auf, dass ich exakt den gleichen Weg zurückgerannt bin oder: am Zurückrennen bemerkte ich, dass das der richtige Hinweg war. Ich mußte durch eine Tür zu einem großen Gebäude, eine Halle. Hastig trat ich ein: Alles Dunkel! Ich begann wild drauf los ins Dunkle zu rennen – und jetzt das Phänomenale: Mit jedem Schritt zeigte sich mir ca. ein bis zwei Meter im schwachen Licht (ähnlich dem in Computer-Spielen) der Weg, auf dem ich ging rannte. Egal wie auch hin und her abbog, eröffnete sich mir der Weg meines Laufens: Ich hatte einen Weg, weil ich ihn beging.

Beschreibt der Begriff der Transzendentalen Apperzeption (bei Kant) nicht gerade den Zeitumgang (d.h., die Zeit zu umgehen, als Erfahrungszeit auszuschließen) in der Erschließung von Erkenntnisgegenständen? Eine klare Vor-Stellung aus der sinnlichen Wahrnehmung zu bilden (Wikipedia), scheint als Vorgriff auf die (kommende) Zeit, Erkenntnis ohne sinnliche Wahrnehmung, d. h, Ratifizierung von Umwelt ohne Wahrnehmungserfahrung möglich. Ich muß nicht alles sinnlich erfahren haben, um Entscheidungen zu treffen – so wie in meinem Traum. Erkenntnisgewinn (aus Vor-Annahmen gebildet) wäre somit Zeitgewinn, d. h. man umgeht die Verlangsamung einer sinnlich noch zu erfahrenden Welt durch die Konstruktion von Gewissheit, von Urteilen – man überspringt sozusagen noch einzuholende Wahrnehmungserfahrung, weil die bisher schon gemachte sinnliche Erfahrung als nervale Verschaltung die angenommen nächste konstruieren hilft. So umgeht man dem Stein, dem Brett vorm Kopf, dem täglichen Stolpern ohne jedesmal die Erfahrung des Schmerzes zu machen. Die Wahrnehmungs-Erfahrung als eine sinnlich konstituierende Orientierung reicht als Bedingung der Existenz, der Erfahrung nicht aus oder ist nicht nötig – mit einer Vor-Annahme können wir schon nächste Schritte tun: Wir können aus gemachten Erfahrungen mehr oder weniger schließen, was uns erwartet. Mit den durch die spekulative Erfahrungserwartung, „Vernünftigkeit“ (à priori) erzeugten, also durch die Vor-Erwartung angenommenen wie dadurch gemachten Erfahrungen, überwinden wir den durch die sinnliche Erfahrung erzwungen Zeit- bzw. Erkenntnisstau. Diese Konfrontation zwischen jenen Nerven, worin Lichtgestalten (die sinnlichen Phänomene) abgelegt oder aufgefunden worden sind, mit ihren begrifflich mächtig operierenden Nachbarn, die die Wiederholung der Erfahrung durch operative Abstraktion (in Beschreibungen) verkürzen, hilft die sinnlich zugängliche Zeit zu überbrücken. Die Bedingungen der Möglichkeit1„Die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori.“ Kant, Kritik der reinen Vernunft, Felix Meiner Verlag Hamburg 1990, nach der ersten und zweiten Original-Ausgabe hrsg. von Raymund Schmidt, B197, Seite 212, Uns interessiert hier der Hauptsatz. Vollständig aber ist respektvoll. eine Entscheidung, Codierung aus zu Vernunft geronnenen Erfahrungen zu konstruieren – also in der urteilsmäßigen Codierung nicht auf das sinnliche Erfahrungsmoment (vollständig) angewiesen zu sein, bedeutet, einen Unterschied, eine Form aus der (erwartbaren) Wahrnehmungsmasse zu extrahieren, ohne dass jener Unterschied oder jene Form im leiblichen Kontext der Wahrnehmung steht. Die – nun operativen – Begriffe der Beschreibung sind ihrer nervalen Leiblichkeit ent-sprungen. Um synthetische Urteile zu erlangen, ist es also Bedingung, aus der Schleife von Zeit füllender Wahrnehmung/ Strukturierung herauszukommen. Paradoxal: Synthetischer Urteile (präadaptive Entscheidungen, Annahmen) dienen als Konstruktion erwartbarer Phänomene. Durch die Barrikade der Erwartung (der Apperzeption/ Vorwegnahme) werden die sinnlichen Prämissen der Wahrnehmung als Erfahrungsgegenstand zu einer funktionalen Struktur konstruierbarer Objektbeschreibung verkürzt. Das synthetische Urteil – als apperzeptives Handeln – beschleunigt den Objektgewinn über dessen sinnlichen Gehalt hinaus. Die Verlangsamung des Denkens durch die Barrikade des durch Wahrnehmung erzeugten Objektgewinns wird durch Annahmen über das wohlmögliche, wahrscheinliche Phänomen, Objekt, durch Fantasie-Wahrnehmung, durch Träume überwunden