58, Projektion Eifersucht und Liebe als Einfühlung (Chronik einer Liebe IV)

Projektion als Übertragung, Transformation eigener Ansichten, Interpretationen, Wünsche auf etwas anderes oder eine andere Person. Das Begehren, Leiden, Sehen etc. verkörpert sich nicht nur im Begehrenden, Leidenden, Sehenden, sondern diese körperlichen Zustände werden im Anderen – in Objekten, oder zu Objekten gemachten Verhältnissen – durch die Annahme der Projektionen (= Übertragung) als Einfühlungen verkörperlicht: ich nehme das Verhalten, das So-sein des Anderen als Bestätigung meiner Projektion wahr. Anders gesagt: ich ordne das beobachtete Verhalten meinen Wünschen/ Projektionen unter. Alles Wahrneh­men ist projizieren.1nach Adorno und Horkheimer, in: Dialektik der Aufklärung, Seite 196  Eine Technik, um den eigenen Körper in den anderen zu versetzen (zu transformieren), hinein zu beamen, einzuschleusen. Das Andere, der die das Fremde als ein emphatisches Wunschobjekt, als eines, das im eigenen Körper durchgespielt werden kann, ermöglicht die Einfühlung zu sich selbst.
Das Sich-auf-etwas-Projizieren als Technik der Einfühlung behält das noch nicht angenommene Andere, das noch Nicht-Apperzipierte in Sichtweite. Das äußerliche Phänomen ist, sobald es als Phänomen, als etwas anderes wahrgenommen wird, schon dem Wahrnehmenden anhängig. Es harrt der Eingemeindung in die eigene Weltauffassung. Deshalb der Satz: Die Welt ist wie sie ist, weil du bist, wie du sein willst. Oder: „Man findet sich in der Weltsicht des anderen erwartet als derjenige, der zu sein man sich bemüht.“2Niklas Luhmann, in: Liebe eine Übung, hrsg. von André Kieserling, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2008, Seite 21
Die projizierte Welt hält das projizierende Bewußtsein in Bann. Die jeweiligen Projektionsleistungen markieren als Einfühlungs­prozess die Ambivalenz von Nähe und Distanz zur Umwelt. Ich kann die Umwelt nur als eigene erkennen. Weil der Moment des Daran-Denkens (ob nun Erinnerungen bedacht oder Projektionen gedanklich ausgelebt werden) als Möglichkeitssinn einer Lebenspraxis mich in eine Art Jetzt-Zeit möglicher Welten holt. Diese gedachte Welt wird real, weil sie als gedachte stattfindet und Denken und Körper nicht geschieden sind: beide treten in den Jetzt-Prozess des Ichs ein. Dieses reale Vorstellen tritt als ein Jetzt-Prozess ins Ich hinein. Deshalb ist nichts, woran sich erinnert werden kann, vorbei. (Klaus Heinrich) Die Eifersucht auf einen Ex-Partner meiner Freundin ist neben dem bürgerlichen Besitzanspruchs­scheiß ein Ausweis der Einfühlung in längst vergangene Geschichten, weil sie in der gedanklichen Bewegung des Sich-Vorstellens (z. B. eines Miteinander-Schlafens mit einem Anderen) gerade ein Wieder-Erleben als mentales Jetzt-Ereignis provoziert. Wenn ich etwas denke, einfühle, passiert es auch jetzt in meinem Hirn, in meinem Körper findet es statt. Es ist ein Realtätsbereich geworden.3Siehe Humberto R. Maturana, in: Biologie der Realität, stw 1502, Suhrkamp Verlag Frankfurt a. Main 2000, Seite 263 f  Und das ist das, was quält – als würde es jetzt sich ereignen, weil ich es jetzt denken fühlen, erinnern kann. Aus dieser Sicht ist Einfühlung (in den Formen von Eifersucht, Hass, Liebe…) mehr als nur ein Rezeptionsprogramm für Theaterstücke. Ist es nicht verständlich, das der Wahrnehmung unzugängliche Phänomene abgewehrt werden und als Fremdes umdeklariert in einen Angstprozess überführt werden? Die Angst behält die ungenügend verstofflichten Phänomene im Blickfeld. Sie fungiert als 2. Beobachtungsinstanz ungelöster Probleme, um sie weiterhin kontrollieren und auf Abstand bekämpfen zu können. Das Projizierte hält den Projizierenden gefangen. Das Subjekt fühlt sich in seine projizierte Welt hinein und kommt nicht mehr heraus.
A fühlt sich in B hinein und erlangt die eigene Wahrnehmungswelt am anderen (B). B wird zum eigenen Fleisch von A. Im Anderen ist es bei sich. Der eigene Einfühlungsprozess spielt auf den Anderen ein oder: sich am anderen ab. Der Andere führt zwei Leben: Eines für denjenigen, in den er sich in ihn hineinfühlt –  für den Anderen – und eines, das der Andere für sich selbst lebt, unabhängig von den Einfühlungen anderer (, wenn das möglich ist). In der nächsten Stufe der Beobachtung ist es möglich, dass das eigene Empfinden der Projektion des Empfindens eines anderen Subjekts entspricht. Die Liebe ist ein erstes Messer zur Teilung des Subjekts, das, ohne Differenz zu sich (oder zum Anderen), sich in Liebe gründen will.
Die Schwierigkeit die Verinnerlichung (Einfühlung) zuzulassen, mit den durch die Einfühlung gewonnenen Möglichkeiten eine Beobachterposition zu sich selbst einzunehmen, wird dem liebenden Zustand nachgesagt: Metastasen getränkt von der Projektionspumpe wird der Liebeskörper wie der eigene auseinander gezogen, wird zum Territorium fremder, außerkörperlicher Ansprüche und Ausbrüche.4„Wenn ein Individuum so weit ist, dass es nur dadurch gerettet werden kann, dass ein anderes sich ändert, dann soll es kaputtgehen.“ (Brecht) „der begriff der bürgerlichen liebe zielt genau darauf: um die eigene liebe zu halten, soll das „geliebte“ wesen sich (aller) sozialen verhältnisse entblößen. es läuft auf einen vertrag hinaus, weil es nicht ertragen werden würde, den anderen MIT anderen zu lieben… es gilt die abhängigkeit so zu gestalten, dass der andere den vertrag einhält.“ (Brecht, wahrscheinlich in Carl Hegemann „Paradoxien der Liebe“, Theater der Zeit Verlag)  Denn, was gedacht oder erinnert wird, ist dem Körper gegenwärtig und ereignet sich ihm im Jetzt. Vielleicht entsteht in dieser Umgebung eine selbsterhaltende Eifersucht zu sich – als (narzisstische) Selbstbehauptung. Sich der eigenen Kontrolle zu unterstellen, erfordert die Ab-Trennung von Beziehungen. Die Liebes-Literatur stilisiert diese hohe Gefahr der Verhinderung durch Verwirkli­chung (Selbst-Verwirklichung durch Verhinderung ist auch möglich), in der die scheinbar bequeme (weil rationale) Einengung des eigenen Lebens für das andere Leben zugelassen wird, damit der Zukunft noch einen Auslieferungstermin gesetzt werden kann. Dem von Liebe ereilten Schicksal, dem vom Sein Gebrauchten wird eine Erklärung gegeben. In der Gegenüberstellung von sich widersprechenden Vernunftgründen soll die Liebestiefe gelotet werden – Adlige will Bauern, Prinz sucht Putzfrau usw. – das Wunder der Liebe wird mit verding­lichenden Analogien beschrieben. Der Wind in den Blättern säuselt die Projektion ungeklärter Empfindungen her. Die Empfindung wird dem versinnlichten Material übergeben.
Das Zusammenfinden der Liebenden zum Paar spricht gegen die Versöhnung der Subjekte mit sich während der Liebe, so ausufernd ist sie oder das Begehren des so Anderen. Insofern das Verschmelzen, das Identischwerden hier als Nicht-zugegen-Sein, Nicht-bei-sich-sein ausgedrückt werden kann. Die Regenerations­phasen vom Zusammenleben (“für sich Zeit brauchen“) münden in die Rekonstruktion des Ich, in seinen Kontrollraum. Spaltprogramm. Platzmangel entsteht, wenn die Zeit des Anderen (Regeneration, Rekonstruktion) nicht gewährleistet wird. „Seit dem Herr Schmidt mit seiner Frau zusammen lebt, war sein Raubbau größer.“