129, Monade und Made (Lifestyle)

Die Fixierung auf Oberflächen – Werbeplakate, Verpackungen, Lackierungen, Brands – als konsumorientierter Individualismus.

1© Hans Georg Köhler, 2023

Lifestyle-Produkte werden als Lebenssinn beworben, bevor man sich versieht, ist man in der Einbauküche gefangen. Die Freiheit existiert als Wahl, aber nicht als Befreiung. Individualismus bedeutet Beschränkung, weil die bestimmenden Produktionsprozesse das jeweilige Individiuum nur individuell beschränken: Man hat den Beruf selbst gewählt, in dem man nun verschlissen wird. Deshalb erscheinen solche Arbeitsverhältnisse, Bedingungen der Arbeit beschränkt auf das einzelne Individuum. Die jeweillige Deformation ist das Individuum und bildet sich in ihm ab. Die universelle, aber für jeden Einzelnen gesetzte Schranke, artikuliert das jeweils herausgepresste Symptom, das individuelle Innehalten. Hier der Raum für bürgerliche Geschmacksverstärker, die sich in der „Freiheit zur Wahl“ ausdrücken. Der Ohring, das Tatoo, der Benz oder Trabbi gibt über das Entscheidenmüssen keine Auskunft. Körperliche Auswucherun­gen erheischen individuellen Klang, Beigeschmack. Krankheitsmuster als Weise und Ausdruck gestörter Lebenskontinuität. Die Defekte definieren das Ich. Eine Notlösung. Die Evakuierung des gesellschaftlich bedrängten wie bedingten Subjekts ins Monadische ist folgerichtig: Dass sie erfolgt, ist der Erfolg. Wie das Subjekt Welt erfährt, muß übersetzt werden als Verfahren der Welt mit ihm. Erfahrungsstoff formiert das Subjekt; formiert das phänomenologisch aktuelle Geschehen als physiologischen Prozess zur pathologischen Oberfläche. Als einzelner ist der Mensch der Wartende, um ihn herum wird seine Person im Wellnessbereich, auf dem Kreuzfahrtschiff hospitalisiert. Verwaltungsakte konfiszieren seine Räume. Ständige Ermahnungen zur Rationalisierung, Beschleunigung: Alles muß noch besser gehen. Aber wohin? Der gesellschaftlich Vereinzelte ist potentiell krankhaft, symptomatisch und unvollkommen für die kapitale Maschinerie. Ein Überlebender – angesichts der Gegenwart von Terror Hunger und Not, den vielen menschlichen Schicksalen und Unfällen. Regelrecht wird zur Gesundung angetrieben. Der Überlebenwollende ist auf sich selbst entlassen, um eine unmögliche Wahl zu treffen. Es sind ungeheure Reproduktionen nötig, dem gerecht zu werden. Das Gesundheitspotential ist bei den Kranken am größten, wenn sie es bezahlen. Die Trusts verdienen an dem von ihnen erarbeiteten Gesundheitspotential bzw. -defizit.
„Der Eintritt in ein Grand Hotel beginnt für den Gast mit dem Verlust seiner ganzen Habe. Der Autoschlüssel wird ihm vom livrierten Wagenmeister weggenommen, der das Gefährt irgendwo in nicht einsehbarem Gelände abstellt. Das Gepäck wird derweil schnurstracks von drei Pagen entführt. Für einen Augenblick, der dem neuen Gast recht lang vorkommen mag, bleibt ihm nichts als das, was er auf dem Leib trägt, nicht einmal ein Zimmer, denn erst jetzt tritt man an die Rezeption, um sich den Beherber­gungskünsten des Personals anzuvertrauen.“2Berliner Zeitung vom 9. – 10.8.2003, Seite 9, „Zweihundert Jahre im großen Stil“
Mit diesem Luxus wird der Mensch sinnlos gemacht. Nackt, bar seiner sonstigen Allüren, seinen Fähigkeiten beraubt, muß er jetzt in der Sonne schmoren. Die reichhaltigen Verbote, Empfehlungen, ja: der gemeine Luxus zwingt die von ihm Befallenen – im Gleichnis einer Krankheit – zu parasitärem Verhalten.
„Dieses vorgegebene Ritual der Wegnahme aller Lasten soll den Besucher zum Pflegefall de luxe machen. Die Gastlichkeit des Hauses wächst mit der exzessiven Bedürftigkeit des Gastes.“3Berliner Zeitung vom 9 – 10.8.2003, Seite 9, „Zweihundert Jahre im großen Stil“
Menschen getarnt im Luxus hilflos zu machen und danach das Abwenden der erzeugten Hilfsbedürftigkeit von denselben bezahlen zu lassen, ist ein Gebaren wie Geschäftszweig, der sich an die Struktur der Schutzgelderpressung orientiert. Der Luxus und der Rauschgifthandel setzen an dem hilflos gemachten Menschen an: Im gewissen Sinn wird im Luxus selbst Hand an der eigenen Hilflosigkeit gelegt, d. h. sie wird selbst bezahlt. Lebensentzug als Sucht oder Luxus. Vielleicht erwächst der Drogenkonsum aus Bedürftigkeit nach fühlbaren Leben und der schier grenzenlose Luxusanspruch aus dem bloßen Bedürfnis nach Herrschaft über das eigene Gefühlsleben mittels der Beherrschung anderer? Im letzten Fall, um die (produzierte) Hilflosigkeit zu maskieren, im ersten Fall, um sie zu überwinden, abzubauen.
„Wer nicht ohne Zögern den Wagenmeister zum Herbeibringen der im Wagen vergessenen Sonnenbrille und gleich darauf wieder zum Apportieren der Landkarte losschickt, der wird wohl nie die erwartete Ansprüchlichkeit eines Grand-Hotel-Gastes entwickeln. Nicht nur das Personal, auch der Gast muss sich in die forcierte Dienstleistungsgesell­schaft einüben und jene Scham verscheuchen, die einen, ungleich heftiger, vor einem knienden Schuhputzer befallen kann.“4Berliner Zeitung vom 9 – 10.8.2003, Seite 9, „Zweihundert Jahre im großen Stil“

 

 

 

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