68, schmerzliche Gedanken

Schmerzen empfangen zu können, ist die Empfindung.

Verzweiflung als organisches Problem denken, anstatt als losgelöst geistiges. Der Sprung des gequetschten Nerven oder des geschickten, abgefeuerten Reizsignals irgendwohin zum Gehirn oder das Fluten in ihm selbst als Meldung einer Empfindung, eines Ionensprungs darüber, als Rückkopplungsschleife denken, die sich nur langsam abschwächt. Als würden Schmerzustände in einer Art Simulation (vielleicht ist Nach-denken eine solche Simulation) verstärkt, immer wieder neu rück gekoppelt werden. Schmerz als Sucht nach sich selbst, der zu seiner Aufrechterhaltung sich selbst aufsucht, immer wieder – bis zur Verzweiflung. Das Bewußtsein hat ein Bewußtsein eigener (selbstischer) Einschränkungen gebildet. So bildet das Bewusstsein eine reproduktive Konditionierung mit sich: Es reproduziert auch die eigenen – traumatisch erlittenen – Einschränkungen, wenn sie oft genug trainiert worden sind. Die Wahrnehmungswege des Schmerzes sind Wege des Schmerzes geworden. Betreten verboten! Der Nerv – der Transport, der Transportweg – hat sich entzündet. Der Weg ist Schmerz. Ein anderes Bild: Aus dem kontaminierenden Auto ist die kontaminierte Straße entstanden. Alles, ob schön oder einfach so, was dieses Medium, diese Straße von nun an betritt, benutzt, wird schmerzvoll, giftig, traumatisch – sie ist nicht mehr ohne das Auto zu denken. Es entstehen physio-psychische Muster. Konditioniertes Verhalten verstärkt sich in diesem funktionellen Schema selbst. Die Konditionierung und Formung des Gehirns durch geschichtlich abgebildete, abgelagerte Schmerzen – Erfahrungen, mündet in einen ausgeformten, funktionalen (und verselbständigten) Katalog der Empfindungen.1„Die Nervenzellen [des Gehirns] werden aber zunächst in einem Überangebot angelegt. Die einzelnen Zellen wachsen dann aus, und nur die Zellen >>überleben<<, die funktionsfähige Kontakte untereinander und mit unterlagernden Hirnregionen aufbauen. In der weiteren Entwicklung werden nun diese funktionsfähigen Verbindungen noch weiter selektiert. Nur die Verbindungen werden stabilisiert, die im weiteren Entwicklungsgang des Hirnes auch aktiviert werden. So besitzt beim Menschen das Hirn des Embryos – etwa mit drei Monaten – die absolut größte Anzahl von Nervenzellen, nach dieser Aufbauphase werden die Nervenzellen aktivitätsabhängig abgebaut. In der Entwicklung >>schnitzt<< sich aus dem Überangebot potentiell kopplungsfähiger Neuronen ein funktioneller Grundbestand von Nervenzellen heraus.“ Olaf Breidbach, in: Interne Repräsentationen, Neue Konzepte der Hirnforschung, Delfin 1996, herausgegeben von Gebhard Rusch, Sigfried J. Schmidt und Olaf Breidbach, Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Seite 10
Die Schmerzen sind konstitutiv, denn sie führen zu anderen Wegen. Sie selektieren sich selber aus. Sie insistieren auf ihre schmerzfreie Seite und schleppen sie dadurch mit. Der Empfang der Empfindung „Schmerz“ oder: Tut es weh, wo, was ist Weh, was reagiert an der geschnittenen Ader, am verbrannten Darm? Was ist das Schmerzliche im schmerzenden Signal?

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