206, Arbeiten mit Benjamin

Verurteilt zur Freiheit im Gefängnis der Entfremdung

Die heroische Aufgabe des Menschen verheißt ihm, das an ihm verschuldete Verhalten der Welt wie das durch ihn verschuldete Verhältnis zur Welt zu erkennen: Das für ihn „die phantasmagorische Form eines Verhältnisses von Dingen annimmt“.1Karl Marx, in: Dietz Verlag Berlin 1968, Das Kapital, 1. Band, MEW Band 23, Seite 86 Der menschliche Fortschritt lautet: Einsicht in die ihm offerierte gesellschaftlich bestimmte Negativität zu üben, sich seiner der rationalisierten Zweckmäßigkeit untergeordneten Austauschbarkeit zu stellen, gegen den von ihm geschaffnen Überfluss sich zu wehren, sich in seinen von ihm erzeugten Produkten wie Verhältnissen zu erkennen und gegen seine von ihm gefütterten Schimären zu kämpfen, die ihm als seine Entäußerungen wie Hieroglyphen2vgl. Karl Marx, in: Dietz Verlag Berlin 1968, Das Kapital, 1. Band, MEW Band 23, Seite 88 gegenüber stehen. In der Ambivalenz von solcher Einsicht in die Ohnmacht erzeugende Macht, in die Macht erzeugender Ohnmacht erhalten die ästhetischen Widerstandsakte als Dokumente barbarischer Kultur ihren Sinn. Benjamins Diktum über die Kultur und ihrem barbarischen Schatten nimmt dies vorweg. „Es ist niemals ein Dokument der Kultur, ohne ein solches der Barbarei zu sein.“ 3Walter Benjamin, in: Über den Begriff der Geschichte

Das Reservoir der Kunst ist, mit Differenz und Ent-Zweckung gegen die gesellschaftlich vermittelte Macht institutionalisierter Interessen sinnliche Kontexte, Formen zu entwickeln: Die Kunst kann die Zerstörung der Ästhetik zur Ästhetik der Zerstörung umbilden. Die Lust an der Störung ist hier spielerische Markierung der Differenz. Die Formen der Kunst sind Differenzierungsanweisungen: Dinge, Verhalten und Situationen anders als bisher aufzufassen, anders sichtbar zu machen. Die Zerstörung der Ästhetik als Ästhetik der Zerstörung gibt der Kunst in bürgerlichen Gesellschaftszusammenhängen noch Spielraum.

 

 

205, Ressentiment: Heul doch!

Die Praxis der Selbstliteratur nimmt Platz im öffentlich medialen Raum: Performed in opfergestischen Songs, in vom Schicksal gebeutelten Rap-Zeilen, manchmal in performativer Kunst, worin das eigene Befinden thematisch heraus gestellt wird, worin Wirklichkeitsvorgänge des Körpers – als Erfahrungsmaterial – vor allem durch Leidens-Ausdrücke des Körpers vermittelt werden. Als glänzte die Kunst durch triefende Wunden. Die Betroffenheit verhindert das Verallgemeinbare der ästhetischen Form. In klebriger Verkörperung eigenen wundschreienden Körpers – als permanent erlittenes Opfer, gefangen in seiner fortschreitenden Beschreibung des Opfer-Seins – wird die Hauptrolle gefeiert. Diese Art von Leidens-Beschreibung bleibt oft genug in der Einfühlungs-  bzw. Opfergestik stecken – sie spannt ein Befindlichkeitsschild vor die gequälten Worte und ihren Autoren. Das erworbene Jammerrecht macht sie unantastbar. Im Lesen bleibt man im Mitleiden hängen und kommt nicht auf den ästhetischen Geschmack. Das passiv erlittene Geschick (oder dessen Konstruktion) erlaubt, die Verantwortung dafür der Welt in Rechnung zu stellen. Ausdrucksversessenheit aus Betroffenheit heraus ist noch keine Kunst, Schicksal kein Verdienst und Heulenkönnen keine Kunst. Die Langeweile ist auf solipsistische Personen bezogen, auch quetschte sie ihre Sprachorgane. Das Ego nimmt überhand. Als würde nur ein Bio-Selbst Authentizität verbürgen. Die letzte bürgerliche Fiktion ist das Individuum, ein Nadelöhr – da kommt Menschheit nicht durch, hat keinen Platz. Es interessiert mich nicht.

Wer keine Fragen hat, erzählt von sich selbst. Das selbstische Schicksal ist keine Antwort.

 

 

204, Ästhetische Kopplung

Ich plädiere für ein Kunstverständnis, das einen Wirklichkeitssinn für ästhetische Formen unterstellt, der sowohl aus dem sozialen Milieu heraus wie in die kognitive Struktur der Erfahrung hinein wirkt. Das Verständnis für die Kunst als Lebenswelt übergreifender Wirklichkeitssinn wird gegen sein diffamiertes Postulat über die Folgenlosigkeit ästhetischer Wahrnehmung in Stellung gebracht. Dass also der Wahrnehmungs-Sinn für die erfahrene Lebenswelt ebenso intensiv erhellend wirkt wie das (ästhetische) Bedürfnis, sie zu verändern: in der vollzogenen und damit produzierten sozialen Struktur der – dann ästhetischen – Interaktion. Das ist die Voraussetzung für die Transformation von Erleben in ästhetische Akte – sie sind Manifeste kognitiver Reflexion. Die neurologischen Wahrnehmungsprozesse kommen in der künstlerischen Bewusstwerdung  – ihrer Benennung oder Ausformulierung – zur Oberfläche: als Form, Farbe, Orientierung und oder Richtung von Konturen zur Tiefe hin oder seitwärts im Bilde.1vgl. Neuro- und Sinnesphysiologie, Hrsg. Robert F. Schmidt und Hans-Georg Schaible, Springer Verlag Berlin Heidelberg New York, 4. Auflage, Seite 303, 304 ff, 311 f, 473
Die ästhetisierende Wirkung der Kunst gründet sich in der (bewussten, erlernten) Anerkennung der Realität der Sinne, der Sinneswahrnehmung als Verkörperung der erlebten Umwelt mit dem wahrnehmenden Selbst: als ästhetische Kopplung. Der ästhetische Impetus von ausdrückbarer Wirklichkeit in der Kunst und überhaupt ist auch deshalb schön, weil er viele Möglichkeiten auf Morpheus‘ Frage „Was ist die Wirklichkeit?“2Aus dem Film MATRIX, 1999, Wachowsky Brothers zulässt: so unterschiedlich die Beobachter-Produzenten Position so unterschiedlich die ästhetischen Kopplungen. Wir sind durch uns in der Welt. Wir können ohne „Voraus“ vor einem Bild stehen:3„Die Ziele einer kunstgeschichtlichen Fachbildung sind die Ziele der allgemeinen Kunsterziehung geworden. Kunstgeschichte kennen gilt als gleichbedeutend mit Kunst verstehn. Und eben das ist falsch, und das Laienpublikum kommt in ein ganz schiefes Verhältnis zur Kunst, indem es die Vorteile seines natürlich-unhistorischen Standpunktes preisgibt. […] Wenn sich das Publikum quantitativ zu viel zumutet, so scheint mir weiter, daß die kunsthistorische Halbbildung eine Art von falschem Kennertum erzeugt hat, das einer wirklichen Erkenntnis der Dinge mehr im Wege steht, als daß es sie vorbereitete. Nichts imponiert dem Laien mehr als jene Sicherheit des Urteils, wo ein Blick genügt, um von weitem zu sagen: das ist ein Aelbert Cuyp…“ Heinrich Wölfflin, in: Kunstgeschichtliche Grundbegriffe, hrsg. von Hubert Faensen, VEB Verlag der Kunst Dresden 1983, Seite 316
Im Versuch Kunstwerke zu betrachten ohne bewertende Urteile. Die auf den Kontext der Kunstgeschichte bezogene wie darin gefangene Fragerei wird dem konkreten Artefakt nicht gerecht und sprengt, ja diskriminiert unseren konkreten Wirklichkeitssinn. Luhmann: „Wenn von Blockierung externer Referenzen die Rede war, dann war gemeint, daß die internen Operationen des am Kunstwerk sich festlegenden Beobachtens ohne externe Referenz verständlich sein müssen. Sie werden nur für das Beobachten des Beobachtens produziert.“4Niklas Luhman, in: Die Kunst der Gesellschaft, suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1303, erste Auflag 1997, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1995, Seite 244

 

 

203, Liebesthesen

Die vielzähligen Projektionen auf den Liebesbegriff als Sehnsuchtsort unerfüllter Begehren (seine poetisch-ästhetische Ausschlachtung) zeigt ein kulturelles Abziehbild der Liebe in ihrer Umkehrung: als ein Mangel an sich selbst mit sich zu sein. Die Sehnsucht, sich für den anderen zu überwinden. „Der Andere ist mir schuldig, was ich brauche.“1Roland Barthes, in: Fragmente einer Sprache der Liebe, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1988 Taschenbuch, Seite 121 Nur in der Verweigerung gerät der Andere zum Begehrenden in Schuld. „Was anders ist nun aber das Selbst der Begierde (das Selbst des hungrigen Menschen zum Beispiel) als ein nach Inhalt lechzendes Leeres, ein Ich, das sich anfüllen will durch das, was voll ist, sich anfüllen will, indem es dieses Volle leert, sich (wenn es erst einmal angefüllt ist) an die Stelle dieses Vollen setzen will, durch sein Volles das Leere einnehmen will. Welches durch die Aufhebung des Vollen entstanden ist, das nicht das seine war?“2Alexandre Kojève, in: Hegel, Kommentar zur Phänomenologie des Geistes, stw 97, Seite 55 Die Verletzung der auf sich gedachten, gefühlten, aber nicht vollzogenen Einheit des Liebenden als Verausgabung, als Ausfluss auf begehrte Oberflächen der Projektion schwächt das Individuum, wenn es sich nicht künstlerisch abzufangen weiß und als unerfüllt doch liebendes Selbst sich aufheben kann. Der menschlich leidende Verzicht auf den Leib des Anderen, der Verzicht auf dessen Verschlungenwerden und den eigenen Verschlingungsprozess ist das andere Ende des Stricks, eine künstlerisch in Angriff genommene „Substitution des Selbstmordes“.3vgl. Roland Barthes in: Fragmente einer Sprache der Liebe, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1988, Suhrkamp Taschenbuch, Seite 121

Dialektik des Vampirs: Sofern nicht gesaugt werden kann, muss gestorben werden – aus Blutmangel und Lichtzwang. Wenn der Liebende nicht den Geliebten erfährt, Herrschaft über sein Begehren/ Begehtes erlangt, sich nicht in den Griff bekommt, schwebt er in Lebensgefahr und, oder entwickelt Tötungsabsichten: „glaubt er sich nur getötet überwunden“. Er beginnt sich selbst auszusaugen. Ermächtigt zum eigenen Leben, schlagen die Zähne ins eigene Fleisch.

Der nicht begehrt, tötet nicht.

Von Liebe getroffen zu sein, ohne eigenen Grund, ist ein Entführen des getroffenen Subjekts von seiner ihm gewohnten Wahrnehmungsweise, aus seinem Erfahrungsschema. Es muss seine alte Haut verlassen. Der Liebende wie Geliebte ist ein Räuber.

Die ästhetischen Dämme, die den Fluchtweg eröffnenden, verdeckenden Artefakte, die das Substitut der drohenden Auflösung auffangen, sind existentiell. Das betroffene, der Liebe ausweichende Subjekt hat in der produzierten Leere der unbestimmten Vielheit seinen Kern, seine durch nichts Konkretes zu störende Sicherheit. Aber sein poetisches Auslaufen wie Abfangen kriecht in jede Gestalt, seine Häutungen werden Teufels Gewänder. Die Schutzbedürftigkeit vor der liebenden Verausgabung zieht das weichende Subjekt ebenso in den Sog seiner Auflösung wie die Wege zur Kopula. Die Karriere des Enthaltsamen beginnt am Geliebten.
Das liebende Ich kennt sich nur als Wunde – der Ausfluss des Blutes zum Herzen ist ein Rückfluss gesehnter Aufmerksamkeit gegen seinen Körper.

Im Verliebtsein verlebendigt sich das Früher (z. B. das Bedingungslose Vertrauen in der Kindheit zu den Nächsten), die Vergangenheit wird wieder als Geborgenheit gegenwärtig – geborgen. Die Erinnerung perforiert das verliebte Subjekt mit seiner eigenen unschuldig masturbierenden Kinderhand. Die frühen Landschaften verlieren ihren Selbstzweck als geglückte Regression.

Das der Andere die Bedürfnisse, Begierden des nach ihm verlangenden Subjekts auf sich nimmt, zeigt den Mangel des Verlangenden seiner nicht bei sich seienden, auf ihn selbst gehenden Erfüllung an. Der Andere fungierte als Abbildung und Scanner des Ich. Der Andere sieht meinen Bedürfnissen ähnlich, aber er ist mir nicht ähnlich. D. h. mit seiner gegen ihn gerichteten Negativität (denn er entäußert sich für mich) oder mit meinem negativen Begehren, Festhalten auf ihn – der mit Begehren erzeugten Vorstellung über das andere Leben – wird er erst die Abbildlichkeit des auf ihn Dringenden erlangt. Die Abbildungsleistung/ Übertragung bedeutet einen Eingriff, der jederzeit auf den Operanden zurück schlagen kann. Wettlauf der Zugriffe.

Ein Schritt zurück: Die Projektion auf den Anderen als Anderes ist schon zur Erfüllung des Projektors fähig, dienstbar. Ein externales Ich, das zum Anderen nicht mehr ankommt, im Absender verharrt. Mister Jekyll oder Mister Hyde. Er muss das Opfer nicht mehr anfassen, wenn er es tötet, aber er kann es in diesem barbarischen Akt als seine Projektionsfläche abschaffen: Der Andere ist mein Ich, als wären wir beide nur eines – und so werfe dich/ mich aus meinem Körper. Den Körper zerlegen also, zu sehen, wo die Liebe ist, was sie umschloss, was sie ist oder war. Wecker zerschlagen, zu wissen, was die Zeit ist. Liebe – Wiedererlangen der selbstischen Geburt.

Auf dem Grund des Subjekts soll Zärtlichkeit stehn. Die beherrschte Form der Gewalt als ästhetischer Ausfluss oder letzter Damm: Kunst. Die gebändigte Bestie. Das Leiden muss aus der Nähe der Schnitte kommen können. Das Leiden erst konstruiert den Liebenden, den Freund. Leidenschaft, die Fähigkeit zu leiden. Für den Anderen. Für sich selbst. Für die Toten.
Das Lieben als Außer-sich-sein durch Objektwahl ist ein Schiffbruch im Ichkanal. Das drohende Pendel schwingt vom Punkt der Angleichung an den Anderen als Mangel des liebenden Ich bis zur Rechnung des Anderen im Fleischhandel.

 

 

202, Begriffe und Schnitte

Begriffe fungieren wie Schnittmuster eines Kleidungsstücks – gleichgültig, wer sie wie und wo anzieht. Sie stehen dafür ein, dass die frische Wahrnehmung in Begriffe schlüpfen kann, hinter ihnen hergeht. Sie stellen für die Erfahrungen die notdürftigen ersten Kleider bereit. Durch die Grobheit, den Umrisscharakter der schon gebannten sprachlichen Begriffe – Schnittmuster – verflüchtigt sich die eingepasste Erfahrung im sprachlichen Muster vorgewebter Grammatik. Die durch Begriffe der Sprache manifest gezurrten Wahrnehmungen, saugen die wahrgenommen Gegenstände in die Sprache aus. Das Lebendige ist ihr Blut, sie entleert das Wahrgenommene in ihre Begriffe, sie bleiben übrig. Die Sprache ist zuerst eine Hülle. Sie ist das, was bleibt.

 

 

201, Objekt des Begehrens

Im Verliebtsein-wollenden-Zustand wird jenes Bedürfnis erfüllende Objekt gesucht, was das suchende, mangelnde Subjekt endlich füllt, d. h. ein Objekt zu begehren, das für das Begehren des Subjekts ‚verantwortlich‘ gemacht werden kann, das lohnt. Welches die erkannte Selbst-Objektivierung des Ich wieder aufhebt, um nicht nur bei sich im Masturbieren sein zu müssen. Der gesuchte Widerhall, 1„Der Suchende findet sich als einer, der immer schon ist, das Gefundene erscheint als ein auftretendes äußeres Da.“ Ernst Bloch, in: Das Materialismusproblem, seine Geschichte und Substanz, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, stw 556, Seite 24 der Objekt-Mensch, der Gegenstand, der Fetisch ist Helfershelfer des Ich. Der Andere als begehrtes Liebes-Objekt wird ein identitärer Raum fürs Ich. Aus dem im Begehren verfolgten Anderen, wird die Sprungmelodie des Ich gepresst: das Begehren weicht die Ego zentrierte Identität auf. Die Dankbarkeit gegenüber dem geliebten, anderen Subjekt, an dem das eigene liebende Echo empfangen werden kann, geht daraufhin, den Brunnen, das eigene soziale Entspringen, das sich einander Bedingende ertragen zu können.
Die Welt, dort, wo die Anderen sind, ist der Produzent seines Liebes- und Begehrensverhältnisses. So wird die Welt aufgezehrt vom millionenfachen Begehren, vom rasenden Sich-Zeigen, dem Buhlen um Aufmerksamkeit nach Liebesblicken. Wenn die Welt nicht ursächlich auf das menschliche Subjekt begriffen wird, dann ist diese Welt für das um sein Ich ringende Subjekt nur noch Wirkung.

 

 

200, Das Andere mach ich

Das bürgerliche Ich als sein erstes letztes Experiment für die Entwicklung seiner Autonomie (das ist seine Freiheit) – die (ästhetische) Zerstörung der Experimentieranordnung ist seine gesellschaftliches Narbe, seine Pflicht und sein Fluchtpunkt. Dort, wo es ganz zu sich kommt – voll autonom – isoliert es sich in schönster ästhetischer Zerstörung. Dekadent fürs Außen, für sich: Berufsrevolutionär.

Die Abwesenheit des Anderen zum Ausbruch des Ichs zu ihm hin entwickeln – all der Ausdruck gilt potentiell dem Gespräch mit dem Anderen. Von der Idee eines vom Ich indizierten Ausdrucks-Handwerks gefangen, das sich darin qualifiziert, dass die Bedingungen ästhetischer Zerstörungsarbeit immer wieder neu mit anderen Gesprächen, Stimmen probiert und ausgeschlossen werden können – bis man nicht mehr kann, und der Ausdruck erlöscht.

An etwas denken, Umrisse zeichnen Gedanken vertonen, bedeutet, das Vergessen von sich selbst zu unterbrechen. Der Zerstörung des Ichs durch seine Körperlichkeit gilt es zu entrinnen. Durch den Körper fliehen oder: durch ihn gegangen sein.
Die Brüche sind Programm: Die Sprengung, nicht der Schutt ist interessant. Die Beschäftigung mit dem Schutt sieht dem Bedauern des Vergessens ähnlich; es hat bereits Erinnerungsmaterial fortgerissen.
Die Wirklichkeit des Kunstwerks als Überwindung der Organei begreifen, zeigen können – Form bleibt, Atem geht.

Du hast ein Recht, ‚Ich‘ zu sagen, wenn du aus deinem stinkenden Körper gekrochen bist. Wer das Messer zieht, bekommt eine Chance.
Vollkommen mit den Verlusten.
Reih dich ein:
Deine Zukunft dein Verrat.

Auserwählt
Durch die Treffer in dein Fleisch
Dein Leben markiert,
Geblendet von der Hitze der Konkurrenz.

Ins Nichts hinein spritzen,
Springen/ in die Parabel aus den Brüchen des Ich.
Erkaltet zusammengepresst, fortgerissen
Raum aus Vorzeit. Para.

Die Gesunden, die vom Begehren freien, die Unbrennbaren, die Dauernden, Unmenschlichen.
Das sind die
Keine Welt haben
Nicht für sich suchen.
Menschen ohne Umgebung, wie Formen ohne Differenz.
Ein inwändiges Überfließen des Ich; ohne Einfluß, aber schäumend,
Erfüllt mit staubigem Gewirr.
Seid bereit.
Ort ohne Luft.
Hinter der Blende ist Leere

Angezündete Geschichten

aus Ego und Langeweile

Der Erfüllte zeigt sich nicht,
Bedürfnislos ist er,
Ausgelöscht,
Kennt er keine Zeit.
In einem steifen Zylinder aus Fleisch.
Ein der Fortpflanzung nützliches Bedürfnis, was soviel Geschichte herauspreßt.
Wer ohne Verrat ist, hat keine Zukunft.

Ja die Sterblichkeit: Fäulnis am Leben, um es zu halten, die Sackgassen der Blicke, um in die Dunkelkammer der umstellten Existens ein vergängliches Licht hineinzukämpfen,
Mit meterhoher Schminke.

Man muß den ganzen Kopf hochhalten,
Um ihn am Hals
Abzuschlagen.

Das Recht auf die Privatsphäre
Ist die Mordspflicht in ihr.

Zuerst ist die Freiheit der anderen die Beschränkung meiner Waffen.
Letzte menschliche Reste müssen sich im fortpflanzlichen Ringen verbergen.1„Wir haben den Akt der Entfremdung der praktischen menschlichen Tätigkeit, die Arbeit, nach zwei Seiten hin betrachtet. 1. Das Verhältnis des Arbeiters zum Produkt der Arbeit als fremden und über ihn mächtigen Gegenstand. Dies Verhältnis ist zugleich das Verhältnis zur sinnlichen Außenwelt, zu den Naturgegenständen als einer fremden, ihm feindlich gegenüberstehenden Welt. 2. Das Verhältnis der Arbeit zum Akt der Produktion innerhalb der Arbeit. Dies Verhältnis ist das Verhältnis des Arbeiters zu seiner eignen Tätigkeit als einer fremden, ihm nicht angehörigen, die Tätigkeit als Leiden, die Kraft als Ohnmacht, die Zeugung als Entmannung, die eigne physische und geistige Energie des Arbeiters, sein persönliches Leben – denn was ist Leben [anderes] als Tätigkeit – als eine wider ihn selbst gewendete, von ihm unabhängige, ihm nicht gehörige Tätigkeit. Die Selbstentfremdung, wie oben die Entfremdung der Sache.“ Karl Marx, in: Ökonomisch-Philosophische Manuskripte, MEW, Ergänzungsband Erster Teil, Schriften bis 1844, Seite 515 f Ein Mahlstein in der Vertierungsmühle.
Jeder Kuss saugt aus den Lippen unsere Möglichkeit.
Die Strangulierung letzter Glücksanspruch des im Tode Erigierenden.

 

 

199, Betrachtung in einsamer Form

Das, was der Betrachter in einem Kunstwerk sieht oder in Betrachtung zieht, wird im Prozess hin- und hergehender  Sinn- und Formereignisse stetig neu vermischt, entzogen, verändert, gegen andere Formen vorenthalten: es gibt keine objektiv gültige Bestätigung, keine fest gezurrte wie unbewegliche Form, jedoch jeweils individuelle Entscheidungen der Formbetrachtung oder des Interesses der Formbildung. Der Betrachtende oszilliert in einer Beziehung zwischen Objekt-Konsum und Selbst-Bildung.1Vgl. Achille Bonito Oliva, in seinem Statement: Gegen die Einsamkeit der Objekte, Seite 66, in: Arte povera, Manifeste, Statements, Kritiken, Hrsg. Nike Bätzner, Verlag der Kunst Dresden, Basel 1995 Er bewegt sich eingedenk seiner körperlich-physischen Abstände defizität zum Betrachtungsgegenstand, stets bleibt die sinnlich ergreifbare Form ein fremdes Gebilde: sie ist nicht sein. Wiederholt erfasst er die Form, gewinnt ein Gefühl – und verliert es wieder. Er holt die Form und sich über das beständige Betrachten ein – als Beobachter 2. Ordnung. Er muss sich auf sich selbst verlassen und erlangt keine Absolution vom betrachteten Gegenstand.
In dieser Weise produziert das Kunstwerk ein Alleinsein des Betrachters: Als intimer Beobachtungsdialog zwischen Kunstwerk (Formereignis) und sinnlicher Aufzeichnung des Beobachters. Er wird zur Abwesenheit mit dem Kunstwerk gezwungen, manchmal durch die vom Kunstwerk auf ihn erzeugte Differenz in Form sogenannten Unverständnisses, Nichtverstehens, vielleicht auch durch die „spröde Form“. In bewusster Nähe zur Differenz verortet sich der Betrachter zwischen Kunstwerk und in sich selbst. Wenn er dazu bereit ist.

 

 

198, ichige Monster

Dass das ichige Monster nicht nur ein Auslaufen seiner Zeit betreut: Sein poröser Sinnapparat ist zum Leben hin abzudichten. Sich auf das verlassen, was sich ausdrücken lässt? Dauern ist besser denn brennen!
Der Künstler nimmt sich in den Zeugenstand eigenen Ausflusses und verhält sich dagegen kriminell – er beutet seine Artefakte für Verdienst und Anerkennung aus. Das Verfolgen der eigenen Spur, um sie in Bildern zu löschen, bleibt das Motiv. Ohne Sieg und Niederschlag. Nichts auskämpfen, noch kämpfend im Kampf sein.
Texte Bilder vor Klarheit zum bersten bringen, ist Kunst.
Ein Artefakt als Begleichung des weggesperrten Selbst – um es zu trösten mit Bildern.

 

 

197, Identität und Liebe

Die Identität des Subjekts als ein Stillstand, Frieden mit dem Da-Sein der Anderen, den Umständen. Als Status quo der Eindrücke, Erfahrungen, Krankheiten und Heilungen, Ausströmungen (Blutverluste, Artefakte) und Einflüsse, als Einheit zwischen Wunde und Narbe, Abfluß und Einfluß, Verlieren und Wiederfinden, Inhalation und Exhibition. Identität als eine sich langsam erweiternde Befindlichkeit, die Kontinuität gegen wechselhafte Zustände bevorzugt, eher ein Bestätigungsfeld des Getanen, des Ereigneten, ein Resultat des sich permanent um Stabilität bemühenden porösen Menschenkindes. Eine Raumerweiterung -wie Forderung. Ein großes Gewicht in der Waagschale gegen Veränderung ist ihre Verklärung: als Sehnsucht. Sie markiert – Differenz gegen – den Anderen als eigenen Identitäts-Anspruch. Stalkerversum.
Aber das Lieben verlagert den Identitätsanspruch, weil die Liebe auf den Anderen gerichtet ist und der Liebende im Anderen arbeitet und ihn in Frage stellt. Hier erzeugt der Andere eine Liebes-Identität, die auf Differenz sich gründet wie zugleich zu überwinden trachtet. Denn der Andere ist die Instanz, die die eigene Identität bestätigen wie annehmen kann – und ermöglicht, erwartet zu werden als derjenige, der man sein will.1vgl. Niklas Luhmann, in: Liebe eine Übung, hrsg. von André Kieserling, Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main, 2008, Seite 21
Jemanden lieben, stellt das Eingeständnis eines (narzisstischen) Verlusts dar, sich nicht selbst zuführen zu können. Die „Instanz des Begehrens“ verhaftet das von Liebe getroffene Subjekt. Das Liebesverhältnis rekonstruiert diese liebende Verluststellung des liebenden Subjekts ständig neu, definiert, transformiert Identitätsbereiche um und treibt die Identitäts-Verluste, die gescheiterten Verschmelzungen weiter, solang sie mit Zuneigung aufgehoben werden können. Die Befreiung aus dem Sog-Verhältnis der Identitäts-Beziehung zu sich gewährt die über das Ich hinausweisende Liebe.

 

 

196, Im anderen bei sich selbst sein. Hegel ever.

Die Abwesenheit des Geliebten ist die erfüllende Gegenform des süchtenden Ich – ein lustvoller Haufen gestrandeter Egos überall. Die Sehnsucht ist realer denn Erfüllung. Ich will mich nicht im anderen erkennen – der andere ist mein Booster: er verdoppelt mich! Im anderen bei sich selbst sein – das Ich reicht sich dafür nicht aus: bei sich zu sein.
Der nicht vorhandene, nicht handgreifliche Nächste wird Postulat des Ich-Körpers, Adressat seiner Bedürfnisse. Das sehnende, unvollkommene Ich ist eine Praxis der vorgestellten (anderen) Liebe, ein mächtiger Geist. Es ist der/ die abwesende Geliebte, der/ die mich mit da-seienden Gefühlen nährt. Das Handeln und Nicht-Handeln des Geliebten bestimmt die Praxis des Liebenden – wie ferngesteuert gilt der Kummer dem Anderen, statt sich für sich zu kümmern. Indem der Liebende sich um den Geliebten sorgt, sei er bei sich. Also Hegels Verständnis des Bei-sich-selbst-Seins im Anderen? Die Abwesenheit des Ich (von sich selbst) wird mit dem „Im-anderen-sein“ – all die Gedanken und Wünsche, die um dich oh Geliebte kreisen – aufgehoben? Das auf die Liebe konzentrierte Ich, seine Angebundenheit an die mit Gewissheit erwarteten Ereignisse oder Abfahrtszeiten des anderen ist seine Last und sein Beweggrund. Dieses Ich löst sich in die ihm eingebundenen evolutionären Versprechungen auf, verfolgt sie, geht in ihnen sich nach. Der Körper wird Projektionsfläche seiner von ihm selbst zugestandenen Versprechung auf Liebe und Geliebt-Sein. Die körperliche Präsenz der Anderen ist ein Unterstand für vergangene Versuche und erwartbare Möglichkeiten.

Verhältnisse mit anderen bieten Ausbruchsversuche aus dem Körper zum Körper an, zur Liebe hin. Liebe schon ausbrechen, ein Ort von Ausgängen, neu eröffneten, am Nullpunkt des Ich. Aufgebrochen aus dem Ich, wie trunken und schmerzlich in den anderen hinein brechend. Annäherung aus dem Verlust heraus.

 

 

195, Liebe Denken Körper Krank

Der Liebende intrigiert gegen sein Ego – eine Gegenarbeit des bedürftigen Geistes gegen sein Aufhören: im Strudel seines Körpers, hechelnder Hormone. Der liebende Mensch im Banne seines Neuentwurfs, um sich so zu zeigen, wie er erwartet werden möchte, im Banne seiner Erziehungsmaßnahme gegen den auf sich selbst gerichteten Egoismus, um die Möglichkeit der Selbstannahme durch die Liebe des anderen nicht zu riskieren.
Mit sich nur allein, wohin mit dem begehrenden Diskurs, keine Tiefe ohne Dunkelheit, kaum Erkenntnis nur Lust, kein Heil.1vgl. Roland Barthes, in: Fragmente einer Sprache der Liebe, Suhrkamp Taschenbuch 1586, Seite 15 Die großen imaginären Fluten, bunte Straußenfedern werden zum kulturellen Ausgleich weiterverarbeitet, den liebenden Revolutionären abgesogen, um der nicht stattgefundenen Versöhnung willen.2vgl. Roland Barthes, in: Fragmente einer Sprache der Liebe, Suhrkamp Taschenbuch 1586, Seite 20

Die Teilnahme am eigenen Begehren ist Gerüst wie Rüstung. Das dauernde, Einsinken in die Schöße dieser Welt, in die Schrift, in die mit Öl gefesselten Figuren einer Leinwandwanderung geschleppt, ist der ungesponnene Kokon meiner Larve. Jede Zeile bezeugt das Sinken, die Verhinderung; nichts endigt und doch strömt es in Farbe, in Berührungen Terpentin gekränkt aus. Vergraben in Betten im Pakt mit dem Kissen der Evolution über Ejakulate am Oevre zu lachen.

Die Triebhaften können an die Sublimierungsleine genommen werden: Schmiert für uns die Tafeln an, füllt die weißen Räume!

 

 

194, narcissus aestheticus

Die Erzeugung von noch nicht nachgefragten Bedürfnissen und deren Vollstreckung als Bedürftigkeit. Wenn aus dem „Wünsche-herausfinden“ ein „Aus-den-Wünschen-nicht-mehr-herausfinden“ wird. Ertrunken in glitzernden Oberflächen und bunten Plastikschuhen. Eine Beschreibung des Stillens von Bedürfnissen: ohne Warten, sofort werden wir als Käufer unserer Wünsche von ihnen verschlungen.

Der Gebrauchswert der angepriesenen Ware vollstreckt sich in der Generierung von Aufmerksamkeit – das muss schnell gehen, sofort in Sichtbarkeit überführt werden können: für den narcissus aestheticus das ideale Feld, um nach Außen zu operieren. Individualität wird auf Oberflächen ausgefochten: Individualität als eine Frage der Repräsentation, indem der Kunde sich selbst als mit der Ware repräsentiert, individualisiert sieht. Je mehr der Käufer seine Ware als sein individuelles Outfit erwählt, als seine Projektionsfläche auf sich vereint, desto kraftloser erscheint ihm seine Vorstellung jemals individuell ohne Be-Warung zu sein: ohne das erworbene Markenprodukt am Fuß oder Kopf ist er nicht das, was er sich darunter projektiv als seine individuelle Haut einbildet; er ist nichts ohne sie. Werbung versucht den Käufer der Massenware als individuell darzustellen, indem die Partizipation am Massenprodukt, ergo am Kaufakt als individuelle Entscheidung hochgelobt wird.
Marketing ist als ein Instrument der Überproduktion zu betrachten, Herr zu werden über die unschlüssige Kaufkraft, unkontrollierte Nachfrage oder Bedürftigkeit. Die Überproduktion von Produkten wird beworben als Bedarf an besseren Produkten. Die diversifizierte Überproduktion ist ein Modell des im ökonomischen Kalkül hausenden Kannibalismus kapitalistischer Produktionsweise. Es ist ein Modell, die anderen, überzähligen und als Konkurrenz rationalisierten und damit überflüssig scheinenden Produkte zu eliminieren. Die Aufgabe der Werbeindustrie ist nicht nur, nach Produkten zu fragen, d. h. humane Bedürfnisse zu ermitteln, sondern auch zu unterstellen, dass Produkte für diese Bedürfnisse schon existieren. Sie bietet Antworten auf mögliche oder ungestellte Fragen. Die produktförmigen Antworten warten nur, gebraucht und gekauft zu werden. Marketing unterstellt, dass die Produkte, einfach alles Verkäufliche auf einen Leib zugeschnitten sind, „der sich niemals selber vorstellte.“1Bertolt Brecht, in: Arbeitsjournal, Eintrag vom 27.10.41, Seite 211 Mit der Produktion der Konsumtion werden natürlich auch die Konsumenten produziert. Aus der gesellschaftlichen Mannigfaltigkeit werden Menschen der Produktion immanenten Ableitungen unterworfen und als Zielgruppen entwickelt: da sind VW-Käfer Käufer, der typische Mercedes Käufer etc. Die Menschen sind zur modischen Silhouette entkernt. Die umworbenen Käufer werden auf das Produkt hin standardisiert. Die Produktion von Waren ist immer schon ein Zuviel an Ware, Angebot, Kitzel, an sich selbst: Produktion als Krisenmanagement der Überproduktion. Der ganze Schrott, die Menschen, Ressourcen, Insekten, die im Krieg der Konkurrenz auf die Schlachtbank geführt werden.

 

 

193, Entfremdung II – nach Lafargue (La droit à la paresse/ Das Recht auf Faulheit)

„Entfremdung ist die Einsetzung des Fremden in dir selbst.“1Christa Wolf, in: Was nicht in den Tagebüchern steht, Verse, Hrsg. Gerhard Wolf, Radius Verlag Stuttgart 2017, Seite 38

Die durch Entfremdung – entfremdende Arbeit – entstellten Menschen sind Sprenglöcher ihrer eigenen psychologischen Steinbrüche: Veranstaltungen der Arbeit.

Fabriken, Unternehmen als Zuchtbetriebe; Zucht (Prägung als corporate identity) schon im Sinne des Betriebs strukturiert.

Der Zwang zur Arbeit nähert sich folgerichtig einem totalitären Arbeitsbegriff, dem das ganze Leben unter-ordnet wird und nimmt den Charakter von Zwangsarbeit offen an. Man spricht auch schon von der Arbeit in der Beziehung. Der Zwang zur Befreiung durch Arbeit – Arbeit macht frei – steht eingeschweißt im KZ-Tor. Der entsprechende gedankliche Abfluß solcher Herrschaft findet sich in der Religionisierung, in den metaphysischen Überfrachtungen auf den gesellschaftlichen Begriff der Arbeit wieder. Das Recht auf Arbeit verbrieft das Elend und ist die Chance ihm zu entfliehen.
Bei der immensen Produktion der Unfreiheit durch Arbeit, gilt es, nur durch sie hindurch frei zu werden. Arbeit macht frei – frei von allen menschlichen Ansprüchen. Das Recht auf Arbeit trägt darin ein verräterisches Stigma. Das revolutionäre Ziel – die Befreiung von dem viehischen Zwang zur Arbeit – scheint nur erreichbar zu sein durch die viehisch-heroische Arbeit an ihrer Überwindung. Das geforderte Recht auf Arbeit bedeutet, die Versklavung des sozialen Umfeldes, also alle Beziehungen und Kontakte in die von den Produktionsverhältnissen bestimmten Arbeitsverhältnisse einrechnen zu müssen. Networking. In dieser Form produziert die versklavte Familie ihren Untergang, ihre Verstümmelung „eigenverantwortlich“ mit. Die Nachkommen müssen sich der verweigerten Kämpfe ihrer Ahnen bewußt werden – es gebührt ihnen Dankbarkeit und die Übernahme ihrer Schuld. Nicht das hiesige Leben ist Erfüllungsort der Utopie, denn sie wird den erpreßten Nachkommen hinterlassen. Die falsch formulierte Forderung – als das Recht auf Arbeit – um  menschliches Leben zu gewähren, liefert die Arbeitenden dem Stoffwechsel der Industrie aus, liefert alle menschlich bestimmten Ideen, Daseinsformen an die mitgetragene Entkörperlichung aus.
Das soziale Leben einer Familie, einer menschlichen Beziehung muß untergraben werden für die Lebensfähigkeit derselben.2„Dieselbe Arbeit, welche die Proletarier im Juni 1848 mit den Waffen in der Hand forderten, haben sie ihrer Familie auferlegt; sie haben ihre Frauen, ihre Kinder den Fabrikbaronen ausgeliefert. Mit eigener Hand haben sie ihre häuslichen Herde zerstört, mit eigener Hand die Brüste ihrer Frauen trocken gelegt. […] mit eigener Hand haben sie das Leben und die Kraft ihrer Kinder untergraben.“ Paul Lafargue, in: Das Recht auf Faulheit und andere Satiren, Querdenker Stattbuch, Seite 16 Die bürgerlich beanspruchte Familie löst das falsche Versprechen ein, sich stets neu ihren Tod aufzuerlegen: Bis daß der Tod Euch scheidet. Im Kapitalismus übernimmt die Arbeit diesen Job. Dies permanente Scheiden ist die Werkbank, wo menschliche Beziehungen in der Steuererklärung als versachlichte Beziehung in Steuerklassen oder Zugewinngemeinschaften aufgelöst werden. Die bürgerliche Familie löst die Formen der kapitalistischen Verhältnisse als psychologische Stoffwechselendprodukte ein. Sie ist das psychotische Emblem der Anstalten und Krankenhäuser. Ihre Zukunft ist ihr Sterben: im Säurebad der Produktionsverhältnisse, d. h.: die Familie wird durch das die Produktion begleitende Rechtssystem in verschiedenste Institutionen, Anstalten und Krankenhäuser, Altenheime ausgelagert.

Das Recht auf Freiheit (als soziale Verwirklichung) nimmt nur als Klage, als ihr nicht konkret verwirklichter Zustand den Umweg über das Recht, die eigene Freiheit bezahlen zu können – ob nun die ersehnte Kreuzfahrt oder der SUV: man muß zahlen. Es ist eine bürgerliche Forderung nach Unabhängigkeit – eine Freiheit, die nach dem Leistungsprinzip, dem sogenannten Recht des Stärkeren, des Besserverdienenden, entschieden und gekauft wird. Die Allgemeingültigkeit bürgerlich-westlicher Postulate über Freiheit, Unabhängigkeit etc. sind nur ganz allgemein – also: ganz gemein – gültig, sie sind abstrakt. Sie sind politisch-ideologisch wirksam, aber sie sind nicht sozial.
Die bürgerliche Rechtsordnung schafft die weichen Stellen, in die das bürgerlich bestimmte egoistische Eigeninteresse eindringen kann und worin es die durch das bürgerliche Recht gewährten auszubalancierenden Überschreitungen aller gegen jeden feierlich rechtskonform kalkuliert. bellum omnium contra omnes. Selbstverwirklichung einzufordern – ohne sozial einzuwirken – ist ohne Gesellschaft barbarisch und erlangt ohne gesellschaftliche Vermittlung zwischen den Selbsten nur kriegerische Wirklichkeit. Die Subjekte löschen sich einander aus, um im Akkord des kapitalistischen Chansons eine Marke, ein Ton bleiben zu können. „Jeder ist seines Un/ Glückes Schmied. Das Arrangement der Privatheit hat diesen Sinn. Es entfesselt die Individuen zur Durchsetzung gegeneinander. Auf allen Lebensgebieten setzen sich antagonistische Tüchtigkeiten durch, also Handlungsqualitäten, die sich spezifisch auf antagonistische Erfolgsbedingungen einlassen. Dieses Private ist das Politische, das sich am vollständigsten entfremdet ist.“3W. F. Haug, in: Philosophieren mit Brecht und Gramsci, Argument, Seite 93 Der Teufel schlägt vor, an der Barbarei teilzunehmen, um sich ihr nicht zu überlassen.

 

 

Still nur still, es klopft: Post Portas (29.08.2023)

Ich öffne der Wespe
Das Fenster
Zeige der Spinne
Quartier
Ich will sie nicht töten

Alles andere sauge ich weg
Ein bisschen Angst
Nehme ich in den Schlaf
Dann
Komen sie
Seit Tagen
Überlege ich:

Aufzuhören, abzubrechen. Nicht als Unterbrechung, als Zeitpause gedacht. Eher: erlösend. Ich erwarte von den restlichen 200 Seiten Manuskript nichts mehr von mir. Ein Meutern gegen die Zeit, die Frisst, den Aufwand. Er will, dass ich ihn nicht loslasse. All die Zeilen werden doch nicht abgeholt.
Stehen hinter der Tür.